Wie viel Tourismus verträgt der Baikalsee?

Wie viel Tourismus verträgt der Baikalsee?

Die Idylle trügt – schon längst ist es fünf vor zwölf am größten Süßwasserreservoir der Erde. Die Perle Sibiriens erstickt buchstäblich an den Hinterlassenschaften der Touristen, die eines der bedeutendsten Ökosysteme Russlands für sich entdeckt haben.

Am Baikalsee scheiden sich die Geister. Einerseits plädiert man für den Fremdenverkehr, der der Region zu Profit und Wohlstand verhelfen soll, andererseits ist gerade dieser der Grund dafür, dass ein Paradies auf Erden gerade vor die Hunde geht. Noch nie waren Ferien an dem wohl bekanntesten See Russlands so beliebt wie dieses Jahr.

Man hat sich auf den zu erwartenden Ansturm dementsprechend vorbereitet. Hotels, Pensionen, ja gesamte Ferienanlagen schossen, meist illegal und ohne entsprechende Infrastruktur, wie Pilze aus dem Boden. Badestrände für tausende von Urlaubern wurden dort angelegt, wo früher seltene Vogelarten nisteten und sich die Baikalrobben sonnten. Diese kann man nun in neu entstandenen Zoos beklatschen, wo man sie für fragwürdige Kunststücke dressiert hat.

Ökosystem kurz vor dem Kollaps

„Der Baikal bereitet uns große Sorgen“, äußerte sich vor kurzem bei einer Umweltkonferenz sogar der Umweltbeauftragte des Kremls, Sergej Iwanow und denkt inzwischen laut über eine Touristenquote nach. Selbst innerhalb der Branche, deren Geschäft es eigentlich ist, den See zu vermarkten, hat man inzwischen die Schattenseiten erkannt. „Es gleicht einer Belagerung“, hört man verstärkt aus den Reihen der Ortsansässigen.

Offiziellen Angaben zufolge kamen im vergangenen Jahr weit über eineinhalb Millionen Touristen an den Baikalsee. Aus aller Herren Länder gaben sich Touristen die Klinke in die Hand. Neben russischen Familien, die hier wie Heuschrecken zum Baden, Wandern und Angeln einfallen, sind es vor allem chinesische und seit neuestem auch deutsche Staatsangehörige, die dank der Transsibirischen Eisenbahn hier landen.

Auch die Wildcamper, die üblicherweise in Russland ohne weiteres geduldet werden, scheinen inzwischen zu einem Problem an den Ufern des Baikalsees angewachsen zu sein. Waldbrände, die durch exzessives Grillen entfacht werden, häufen sich. Dazu kommen Tonnen von zurückgelassenem Abfall pro Saison.

Behördlicher Naturschutz ohne Konzept

Doch nicht nur in und um den zweitausend Seelen zählenden Ort Listwjanka, gerade einmal siebzig Kilometer von Irkutsk entfernt, ist der drohende Kollaps zu erkennen. Die „Schamaneninsel“ Olchon, am Westufer des Sees, zählt inzwischen über dreißig Hotels und Wellnesseinrichtungen für fünfzigtausend Besucher jährlich. Umweltschützer fechten einen Kampf gegen Windmühlen, wenn sie versuchen, Hotels dazu bringen, zumindest die behördlichen Auflagen einzuhalten.

„Gegen das Naturschutzrecht zu verstoßen, bleibt wirtschaftlich rentabel“, erklärt Galina Sibirjakowa gegenüber der Presse. Seit Jahren dokumentiert die Umweltaktivistin auf ihrem Blog die Müllsünden der Region. Die Bußen für die Verursacher seien einfach zu gering. „Der Naturschutzbeauftragte kommt zwar vorbei und es gibt Strafen. Der Müll bleibt aber trotzdem liegen“, fasst sie das Engagement der Behörden zusammen.

Recycling ist in Russland nach wie vor ein Fremdwort, man zündet den Müll stattdessen lieber an oder vergräbt ihn. So trägt man zu einem weiteren Umweltproblem bei und das Ganze gleicht einem Teufelskreis. Aus diesem auszubrechen scheitert es in erster Linie am Willen. Darin hat Russland eine bemerkenswerte Lethargie entwickelt, die man beharrlich hegt und pflegt. Da wird sich so schnell nichts ändern.

[mb/russland.REISEN]