Werchoturje: Der kleinste Kreml Russlands

Werchoturje: Der kleinste Kreml Russlands

Werchoturje ist zwar die kleinste unter den Städten im Gebiet Swerdlowsk, aber dafür die älteste. Da die Industrialisierung des Urals an dem beschaulichen Ort am Ostrand des Gebirgszuges, dreihundert Kilometer nördlich von Jekaterinburg gelegen, keinen Einzug halten wollte, präsentiert er sich heute als lebendiges historisches Stadtbild des Russlands um 1700.

Die etwas mehr als achttausend Einwohner Werchoturjes wissen, dass sie nicht mit dem größten, schönsten oder gar berühmtesten Kreml des Landes prahlen können. Dafür ist ihrer der kleinste des Landes und der einzige im Ural. In den Jahren 1698 bis 1712 wurde er von Zar Peter dem Großen auf einer felsigen Erhebung am Ufer der Tura erbaut, um einen der wichtigsten Transithandelspunkte und das Zentrum der russischen Besiedlung des Uralhinterlandes zu schützen.

Die Stadt selbst entstand, davon gehen Wissenschaftler heute aus, bereits 1597 an der Stelle einer Siedlung der mansischen Ureinwohner und der Ostrog, als Vorläufer des Kreml, bestand zunächst aus Palisaden mit einem aufgeschütteten Wall davor. Zu dieser Zeit galt die sogenannten Babinow-Straße die hier vorbeizieht, als die kürzeste genehmigte Verbindung zwischen dem europäischen Teil Russlands und Sibirien, was wiederum ab 1601 eine Zollstelle rechtfertigte.

Einst bedeutender Handelsweg

1674 und 1738 wurde Werchoturje zum Opfer von Feuersbrünsten und beide Male mehr oder weniger neu wieder erbaut. Allerdings schritt die Besiedelung Sibiriens in der folgenden Zeit rapide voran, so dass die Zollstellen immer weiter nach Osten verlegt wurden und Werchoturje daraufhin das Stadtrecht und damit auch seine ursprüngliche Bedeutung verlor. Erst mit der 350 Jahr-Feier im Jahre 1947 wurde der Titel erneut verliehen.

Zur Zeit Nikolaus des Ersten war der Kreml, rund 150 Jahre nach seiner Erbauung, bereits in einem so schlechten Zustand, dass der Zar Teile der Mauer reparieren lassen musste und die am schwersten beschädigten Teile der Festung abreißen ließ. Vom alten Kreml blieben damals nur Teile der Festungsmauer, ein Teil der Wirtschaftsgebäude und die Dreifaltigkeitskathedrale erhalten. Die Kremlmauer, die man heute sieht ist hingegen eine Nachbildung für Touristen.

In der Nähe des Eingangs zum Werchotursker Kreml befindet sich die malerische Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit. Die steinerne Kathedrale wurde von 1703 bis 1709 von Baumeistern aus Solikamsk errichtet und ist die älteste Steinkirche in der Region Swerdlowsk. Von zwei Seiten grenzen die Kremlmauern an die Kirche an und bilden mit der Kathedrale die markanteste architektonische Dominante des Kremls.

Kulturerbe umgibt die schräge Nase

Heute gilt das Ensemble als herausragende Arbeit des „Moskauer Barock“ im Ural und erlangte dafür den Status als Weltdenkmal der UNESCO sowie als historisches Monument von nationaler Bedeutung Russlands. Links des Eingangs zum Kreml befindet sich der Abstieg zu einer hölzernen Fußgängerbrücke über die Tura, die seit 1949 den Bezirk Zaretschnj mit der Innenstadt verbindet. Von der Brücke aus bietet sich einer der schönsten Blicke auf den Kreml von Werchoturje.

Der etwas vernachlässigte Stadtplatz liegt gegenüber dem Kremltor und wartet lediglich mit einem Relief zu Ehren des Zaren Fjodor Iwanowitschs, dem Sohn Iwans des Strengen, fälschlicherweise gerne als der „Schreckliche“ bezeichnet, auf. Dennoch sollte man sich das Relief einmal genauer ansehen, da, besonders beim Blick von der Seite, Fjodors Nase durch die Perspektive ein durchaus kurioses Eigenleben bekommt.

Geht man auf der anderen Straßenseite des Kreml ein Stück die Sowjetskaja-Straße entlang, sieht man die Ruinen der ehemaligen Auferstehungskirche. Die Kirche war ursprünglich zweigeschossig mit einem hohen zweigeteilten Glockenturm. Das erste Obergeschosses wurde 1786 geweiht, das zweite zehn Jahre später. In den 1930-er Jahren wurden die Kirche von den Sowjets mitsamt dem Glockenturm abgetragen und stattdessen in einen Heizungsraum umfunktioniert.

Neben dem Kreml gilt das Nikolauskloster als das bedeutendste Wahrzeichen Werchoturjes. Hierhin verbrachte man 1604 die Reliquien des als Wundertäter verehrten Heiligen Simeon des Gerechten, dessen Ruf weit über die Grenzen des Ortes hinaus eilte und Werchoturje zu einem allrussischen Pilgerziel werden ließ. Die heute ältesten, noch sichtbaren Teile des Klosters stammen aus den Jahren zwischen 1752 und 1904.

Erstes Frauenkloster hinter dem Ural

In einem der Ecktürme befand sich die Wasserversorgung des Klosters, gesichert durch einen Behälter, der rund sechshundert Eimer Wasser fasst. Die majestätische Kathedrale zum Heiligen Kreuz die weithin sichtbar über das Areal hinausragt, ist nach der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau und der Isaakskathedrale in St. Petersburg der drittgrößte Kirchenbau Russlands. 1924 wurde das Kloster geschlossen, ab 1935 diente es als Arbeiterkolonie für jugendliche Straftäter.

In den 1930-er Jahren fand man einen Schatz am Boden eines Brunnens, der von den Mönchen dort versteckt worden war. Bei Ausgrabungen in den 1990-er Jahren wurde ein weiterer wertvoller Fund in den Kellern der Igumen-Residenz gefunden, was von dem ehemaligen Reichtum und Wohlstand des Klosters zeugt. Heute wird der Komplex wieder wie einst als Männerkloster genutzt. Teile der Anlage stehen Besuchern offen.

Ein weiteres, gut fünfhundert Meter vom Kreml entferntes Kloster gilt als erstes Nonnenkloster hinter dem Ural. Mit dem Bau des Pokrowskj-Klosters wurde im Jahre 1624 begonnen. Ursprünglich waren alle Gebäude der Anlage aus Holz, nach einer Reihe von Bränden im achtzehnten Jahrhundert wurden sie jedoch durch solide Steinbauten ersetzt. Die zum Kloster gehörige Steinkirche wurde im Jahr 1753 eingeweiht.

Mit ihrer zurückhaltenden Dekoration zählt sie nicht unbedingt zu den typischen Barockkirchen Russlands. Jedoch zeichnet sich die Kirche durch eine für den Ural eher seltene Komposition mit einer großen Acht als Grundriss aus. Initiiert und gesponsert wurde der Kirchenbau durch den wohlhabenden Werchotursker Händler und Fabrikanten Maxim Pohodjaschin, der von 1754 bis 1776 auch die nahegelegene Kirche St. Johannes des Täufers errichten ließ.

Als Kirchen zu Garagen wurden

Im Gegensatz zur Klosterkirche bestach der Bau durch den reichhaltigen Schmuck des sogenannten Nord-Ural-Barock. Besonders der Glockenturm nahm eine bedeutende Rolle im Panorama von Werchoturje ein. Jedoch wurde auch diese Kirche in den 1920-er Jahren von den Sowjets geschlossen und in den 40-er Jahren schließlich bis auf das Erdgeschoss demontiert. Später befand sich in dem Gebäude eine Ambulanzgarage.

In den Jahren 1898 bis 1902 wurde in der Nähe des Klosters die steinerne Nowo-Pokrowskaja-Kirche erbaut, 1907 öffnete das inzwischen hierher verlegte Kloster seine Pforten aufs Neue, um sie auf Geheiß der Sowjets, knapp zwanzig Jahre später, wieder zu schließen. Heute wird das Pokrowskj-Kloster, das derzeit aufwändig restauriert wird, genauso wie das Nikolauskloster wieder seinem geregelten Betrieb nach.

Von der ehemaligen weltlichen Blüte als prosperierende Handelsstadt an der Grenze zu Sibirien zeugen indes die Häuser der wohlhabenden Kaufleute aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Vom Eisenbahnanschluss, der 1906 an der Strecke von Kuschwa nach Serow angelegt wurde, profitiert die älteste und kleinste Stadt im Swerdlowsker Gebiet noch in diesen Tagen. An wichtigen orthodoxen Feiertagen verkehren sogar Sonderzüge für die Pilger zum Heiligen Simeon.

[mb/russland.REISEN]