Weißrussland veranstaltet Tschernobyl-Touren

Weißrussland veranstaltet Tschernobyl-Touren

Es war die größte Katastrophe der zivilen atomaren Nutzung, als am 26. April 1986 das Kernkraftwerk im ukrainischen Tschernobyl explodierte. Der Unfall verheerte einen riesigen Landstrich, der noch bis heute schwer radioaktiv verseucht ist. Nun veranstaltet die benachbarte Republik Weißrussland organisierte Touren in die Sperrzone.

Unmittelbar nach dem Unglück wurden die 47.500 Einwohner der Stadt Pripjat evakuiert. In den weiteren Tagen musste die Bevölkerung der Zehn-Kilometer-Zone um das KKW Tschernobyl die Region verlassen. Im Monat Mai des selben Jahres wurden aus den 188 Siedlungen in der 30 Kilometer langen Sperrzone insgesamt 116.000 Menschen umgesiedelt, 200.000 Quadratmeter der Ukraine und der Nachbarländer waren von heute auf morgen radioaktiv kontaminiert.

Seit dieser Zeit ist die Sperrzone menschenleer, Propjat eine Geisterstadt mit unheimlicher Kulisse. Mittlerweile hat die Natur die von Menschen geschaffenen Einrichtungen zurückerobert und bietet Wissenschaftlern ein umfangreiches Forschungsfeld. Zwar ist das verstrahlte Gebiet seit dem Super-GAU für Zivilpersonen gesperrt, dennoch vertrauen sich immer wieder „Extremtouristen“ für teures Geld inoffiziellen Tourguides an, die sie illegal in die „Zone“ schleusten.

„Touren mit informativen Zielen“

Als „Besuche mit informativen Zielen“, wurden diese Ausflüge, von den Behörden durch Schmiergeldzahlungen mehr oder weniger geduldet, deklariert. Nun hat die weißrussische Regierung diesem Treiben entgegengewirkt und bietet selbst geführte Touren in das kontaminierte Gebiet an. Es liegt auf der Hand, dass sich die staatlichen Veranstalter dieses Geschäft, und sei es auf Kosten der Gesundheit der Besucher, nicht entgehen lassen wollen.

„Es wurden zwei Routen angelegt, Plattformen ausgesucht, Straßen mit verbessertem Belag versehen“, erläuterte Maxim Kudin, der stellvertretende Direktor des Polesje State Radiation and Ecological Reserves, gegenüber dem weißrussischen Fernsehsender „ONT“ bei einer offiziellen Vorstellung des Projekts.

Zudem wurden die Dosen berechnet, die die Besucher erhalten können, während sie sich bei uns aufhalten“, sagte er. Kudin mag das Wort Touristen im Zusammenhang mit den außergewöhnlichen Touren in das lebensbedrohende Biotop nicht sonderlich. Er versicherte, dass die Strahlenbelastung, die ein Mensch während eines Tagesaufenthalts in der Sperrzone abbekommen kann, geringer sein wird als die, die er beim Flug hierher erhalten habe.

„Die Exkursionen umfassen die Einarbeitung in das Museumsreservat, die Koordination der Dokumente, Besichtigungen der ehemaligen Viehzuchtanlage und der Ställe sowie die Besuche mehrerer verlassener Dörfer.“ Die Exkursionen zu einer Baumschule zur Aufforstung sind erst für den Winter vorgesehen. Ebenso ist er sich der wichtigen Aufgabe bewusst, seinen Kunden den historischen Hintergrund und das ökologische Ausmaß der Katastrophe zu erklären.

Stabile Besucherzahlen

Laut „ONT“ wurden die ersten Ausflüge in der vergangenen Woche gestartet. Kudin zufolge gebe es Anfragen aus Russland, der Ukraine, Polen und Deutschland für die Touren. „Es gab sogar einen Touristen aus den USA und gerade versucht eine Gruppe von Reisenden aus Norwegen, dorthin zu gelangen“, sagt er. Die Touren selbst sind meistens auf Russisch, aber es bestehe die Möglichkeit, Übersetzer zu engagieren.

„Vielleicht werden wir im Laufe der Zeit eine Informationsabteilung organisieren, die sich mit Logistik, Korrespondenz und touristischen Begleitern befasst“, schwelgt Kudin bereits in der Zukunft. Die Preise der Führungen sind einem derart extravaganten Ausflugsprogramm angemessen: Rund zweihundert US-Dollar sind für eine fünfköpfige Gruppen pro Tour einzukalkulieren, ein gutes Geschäft für die weißrussische Tourismusbranche.

In der benachbarten Ukraine werden vergleichbare Exkursionen bereits seit vielen Jahren, mehr oder weniger legal, durchgeführt. Die Reiseveranstalter führen an, dass der Touristenstrom über die Jahre stabil sei, vor allem bei den ausländischen Besuchern. Während die Ukraine Tschernobyl, die Stadt Pripjat und die Ruine des Kernkraftwerks als Hauptattraktion vorweisen kann, setzt man in Weißrussland auf die Natur.

„Die Orte in der weißrussischen Sperrzone sind wirklich wild“, schwärmt Kudin. „Die Menschen haben hier nicht lange gelebt, daher ist die Natur hier einzigartig“, erklärt der Verantwortliche des Reservats. „Vor allem die Landschaft um leerstehende Dörfer, in denen sich Wildtiere angesiedelt haben.“ Ihm zufolge befänden sich hier mehr als neunzig verlassene Siedlungen. Kudin beteuert jedoch, dass die „schmutzigsten“ Stellen der Sperrzone für Menschen nicht zugänglich würden.

[mb/russland.REISEN]