Tschetschenien – Vom Krisenherd zum Reiseziel [mit Video]

Tschetschenien – Vom Krisenherd zum Reiseziel [mit Video]

Mit einer Imagekampagne will die Touristeninformation der autonomen Republik Tschetschenien den Vorurteilen entgegentreten, mit denen dieser herrliche Landstrich im Nordkaukasus belastet ist. „Visit Chechnya“ bewirbt einzigartige Landschaften und eine reichhaltige Kultur, in denen uralte Traditionen bis heute überdauert haben.

Erwähnt man die Tschetschenische Republik im Südwesten Russlands, werden bei den meisten Menschen sicherlich als erstes Erinnerungen an die beiden militärischen Auseinandersetzungen geweckt, die Mitte, beziehungsweise Ende der 1990-er Jahre um das Bergland ausgefochten wurden. Die Autonomiebestrebungen der Region wurden seinerzeit von militanten Teilen der muslimischen Bevölkerung zum Anlass genommen, russische Gebiete mit Terroranschlägen zu übersäen. Das Eingreifen von russischen Truppen gipfelte beide Male in Kriegen, die um die Herrschaft in der Region geführt wurden.

Zwei Kriege haben Spuren hinterlassen

Heute hat sich die Lage in der Republik wieder stabilisiert und man hofft nun, Touristen in die Region zwischen Kaspischem Meer und Georgien locken zu können. Die Schäden, die die Kampfhandlungen hinterlassen haben sind für teures Geld beseitigt worden. Milliarden seien alleine dafür investiert worden, um der Hauptstadt Grosny wieder Leben einzuhauchen, heißt es seitens der Regierung. Und in der Tat sprießen Lokale, Vergnügungsetablissements und Gewerbeeinheiten wie Pilze aus dem Boden der Stadt, die sich bei der Gelegenheit gleich neu erfunden hat.

Neu errichtete, moderne Moscheen prägen das Bild des Landes, gebaut von dem Geld, das wohlhabende Gönner aus aller Welt hier investiert haben. So auch als Superlative die größte Moschee Europas, ein überbordendes Museum für den 2004 bei einem Attentat getöteten Präsidenten Achmat Kadyrow. Im Mittelalter konnte der Islam in der Region Fuß fassen, heute zählt sich der Großteil der Bevölkerung zu den Sunniten.

Der Glaube spiegelt sich für den Besucher am deutlichsten vor allem in den Traditionen Tschetscheniens wieder. Die Gastfreundschaft wird dementsprechend groß geschrieben, historische Lieder, die ausschließlich von Männern vorgetragen werden, erzählen von der heldenhaften Vergangenheit des Volkes. Steinerne Zeugnisse dieser Vergangenheit finden sich in Form von trutzigen Wehranlagen und verfallenen Dörfern. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der historisch-architektonischer Komplex des Dorfes Khoi, in dem Ende des 18. Jahrhunderts noch rund zweitausend Menschen lebten, von denen die letzten den Deportationen 1944 zum Opfer fielen.

Kulturerbe im Kaukasus

Die Bergwelt zog seit eh und je Wanderer und Tourengeher in ihren Bann. Unberührte Natur macht das Tal von Argun im Herzen Tschetscheniens zur Visitenkarte der Republik. Auf 120 Kilometern finden sich hier etwa sechshundert Denkmäler zu Geschichte, Kultur und Archäologie. Heiße Mineralquellen waren hingegen noch bis zum Zerfall der Sowjetunion ein begehrtes Urlaubsziel der Unionsbürger, die sich in den dortigen Sanatorien erholten. An diese goldenen Zeiten will man beim, Anfang 2013 neu gegründeten, Komitee für Tourismus, einer Regierungseinrichtung, wieder anknüpfen.

Laut Elina Batajewa, die bei der Behörde für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, sei die Etappe des Wiederaufbaus abgeschlossen und es gelte jetzt, touristische Angebote zu entwickeln. „Tourismus ist eine Herzensangelegenheit“, findet sie und sieht Tschetschenien auf dem besten Weg zu einer ganz normalen Touristendestination. „Das Interesse der Besucher wächst von Jahr zu Jahr“, sagt Batajewa, auch wenn die Zahlen im Vergleich zu etablierten Touristikzielen noch verschwindend gering sind.

Tourismusförderung als Staatsangelegenheit

16.396 Übernachtungen inländischer Gäste zählte man im Vorjahr. Im Jahr 2010 waren es gerade einmal 4.288. Verstärkt zieht es also russische Touristen an die Orte, die sie von früher kennen. Jedoch steige auch die Zahl der Gäste aus dem Ausland kontinuierlich. Gegenüber den 118, die im Jahr 2010 den Weg nach Tschetschenien fanden, zählte man zwei Jahre später immerhin schon 3.451 Reisende aus Hongkong, den USA, Kanada und Europa. Trotz der von Moskau ankündigten Großprojekte ist der gesamte russische Nordkaukasus allerdings für Touristiker ein schwieriges Pflaster.

So blickt Elina Batajewa derzeit noch neidvoll in Richtung Europa, wo beispielsweise die Steiermark, die mit 16.400 Quadratkilometern nur unwesentlich größer als Tschetschenien ist, im Jahr 2012 rund elf Millionen Übernachtungen erzielen konnte. Das Projekt „Visit Chechnya – Besucht Tschetschenien“ soll dem nun Abhilfe leisten und den Tourismus in der Republik ankurbeln. Mit neuen Straßen will man bislang unzugängliche Regionen erschließen, ein Nobel-Skiressort mit 19 Liften befindet sich im Dorf Wedutschi derzeit in Bau.

Der Tourismus wurde von der tschetschenischen Regierung zur Staatssache erklärt. Eifrig nutzt man jede sich bietende Gelegenheit, sich auf russischen Tourismusmessen sowie im Internet zu präsentieren, auch wenn der Webauftritt wie ein Spiegel der Bemühungen wirkt – er befindet sich im Aufbau. Nichtsdestotrotz konnte man bereits europäische Reiseunternehmen für seine Ziele gewinnen und im August dieses Jahres eröffnete im Check-in Bereich des Flughafens Leipzig/Halle die weltweit erste touristische Repräsentanz der Kaukasusrepublik außerhalb Russlands.

[mb/russland.REISEN]