Tourismus soll russische Polarregion beleben

Tourismus soll russische Polarregion beleben

Einst war Teriberka an der Barentsee ein prosperierendes Dorf. Hier war die Küstenflotte stationiert, eine Fischverarbeitungsanlage bot den Bewohnern Arbeit. Als die Fischer gingen, begann die Stagnation. Nun soll der Tourismus helfen, der Region neues Leben einzuhauchen.

Mit dem Flugzeug erreicht man von Moskau aus in nur wenig mehr als zwei Stunden Murmansk. Weitere zweieinhalb Stunden braucht man mit dem Auto, um in die, dem Nordpol am nächsten gelegene, Siedlung der russischen Polarregion zu gelangen. Hier befinde man sich „am Rand der Erde“, sagen die Einheimischen in Teriberka und würden sich wünschen, wenn wieder mehr Menschen, vor allem Touristen, den Weg an die Küste des Arktischen Ozeans fänden.

Das Wasser an dem langen Sandstrand direkt an der Barentssee ist relativ warm im Gegensatz zu der kalten Luft, die hier mitunter weht. Das seien die Grüße vom Nordpol, wissen die noch knapp eintausend übriggebliebenen Bewohner des Ortes am nördlichsten Zipfel der Halbinsel Komi, der zu Sowjetzeiten sogar den Status einer Siedlung städtischen Typs für sich beanspruchen konnte. Wie man die Touristen nun genau hierher locken könnte, wissen sie allerdings auch nicht so recht.

Bezaubernde Atmosphäre der Trostlosigkeit

„Die Küste der Barentssee ist größtenteils geschlossenes Gebiet. Teriberka ist jedoch eine der wenigen für Ausländer zugänglichen Siedlungen. Das heißt, Sie könnten mit dem Auto bequem hierher fahren und sich sofort die Füße im Nordpolarmeer nass machen“, sagt Anna Popowa, die Leiterin der Abteilung Tourismusentwicklung des Ministeriums für Industrieentwicklung und Unternehmertum der Region Murmansk. Das müsse doch Touristen anziehen, denkt sie.

Tatsächlich jedoch scheint es vor allem die Atmosphäre der Trostlosigkeit zu sein, die Touristen heute hierher zieht. In den Reihen der Regionalregierung wehrt man sich allerdings gegen dieses Stigma. Das sei bei weitem nicht der einzige Faktor, gibt man sich dort überzeugt. Einen regelrechten Boom erlebte Teriberka, als 2014 der Film Leviathan in den Kinos anlief. Regisseur Andrej Swjagintsew wählte bewusst die Atmosphäre des Ortes für sein bildgewaltiges Meisterwerk.

Zudem ist Teriberka, im Gegensatz zu den angebotenen Arktis-Kreuzfahrten, die mehr als tausend Euro pro Person kosten, eine Option, die für die meisten erschwinglich wäre. In den kommenden Jahren könnte der Tourismus für das halb verlassene Dorf vielleicht sogar die einzige Chance für sein Überleben sein. Verfallene Gebäude, über die sich der Nebel legt, zeugen heute noch vom Wohlstand der Vergangenheit.

Aktivurlaub im Polarmeer

Nach Angaben des regionalen Ministeriums für industrielle Entwicklung und Unternehmertum kommen heute jährlich etwa 412.000 Menschen in die Region Murmansk, etwa 50.000 von ihnen sind ausländische Touristen. Besonders beliebt sei demnach die Region, und Teriberka im Besonderen, vor allem bei Touristen aus der Volksrepublik China. „Viele Chinesen kommen hierher, weil es für sie die Arktis in Russland weitaus billiger ist, als anderswo“, sagt Anna Popowa.

Neben der Aurora Borealis, dem Polarlicht, und der malerischen Natur des Nordens mit felsigen Stränden, Wasserfällen und der Tundra, die eine Stunde nach dem Verlassen des Flughafens Murmansk beginnt, bietet Teriberka jedoch noch weitere unerwartete Highlights für Touristen. Da die Barentssee wegen des Golfstroms niemals zufriert, kann man hier beispielsweise ganzjährig ohne besondere Zusatzausrüstung tauchen.

Eine Drachenflugschule gibt es in Teriberka ohnehin schon, nun denkt man daran, im Winter noch zusätzliche Snowkite-Kurse abzuhalten. Eine andere Episode wäre die Entwicklung des Umwelt- und Naturtourismus. Da in der Nähe des Dorfes seltene Vögel und andere Tiere sowie Pflanzen beobachtet werden können, die im zentralen Gürtel nicht vorkommen. Dazu bräuchte es allerdings geschulte Führer, denn bislang geschehe das alles nur spontan, klagt Popowa.

Mangelnde Organisation in allen Bereichen

Ebenso verhalte es sich mit einem potentiellen Besuchermagneten der Barentsee, der Beobachtung von Schwertwalen. „Touristen sind bereit, viel Geld für so eine Gelegenheit zu bezahlen und von hier aus wäre es ein Leichtes, organisierte Touren durchzuführen“, sagt sie. Zwar wäre hier jeder Einwohner bereit, hinaus auf das offene Meer zu fahren, allerdings geschehe dies ausschließlich auf eigene Gefahr. Auch hier bedürfe es einer geregelten Organisation.

Die Regierung der Region Murmansk erwartet die Aufnahme in das föderale Zielprogramm für die Entwicklung des Tourismus und plant zu diesem Zweck vor allem, die Anzahl der Veranstaltungen in Teriberka zu erhöhen. Es gibt bereits ein Gastronomiefestival, ein Walrossschwimmen sowie einen Polarwanderweg, was jährlich mehrere tausend Menschen, größtenteils aus anderen Siedlungen der Region, in den Ort lockt.

Eine große Baustelle ist hingegen die Infrastruktur entlang der Barentssee: Die zweieinhalb Stunden nach Teriberka müssen derzeit auf einer kaputten Schotterstraße zurückgelegt werden, zudem gibt es nur wenige Taxifahrer und die Fahrt kostet bis zu fünftausend Rubel, umgerechnet rund siebzig Euro. Noch schwieriger ist die Situation im Winter, wenn die Straße zugeweht ist und das Dorf nicht erreicht oder verlassen werden kann.

Fast unerreichbare touristische Einrichtungen

Diese Erfahrung kann natürlich als integraler Bestandteil des Abenteuers betrachtet werden, steigert aber sicherlich nicht die Touristenzahlen. Ohnehin sei der Polarwinter „die tote Jahreszeit“, wie Anna Popowa sagt. Laut den Geschäftsleuten im Dorf befänden sich allerdings schon während der Sommersaison die meisten Objekte „im Leerlauf“. Statt vollständig verpackter Tourismusprodukte also der absolute Mangel an notwendiger touristischer Infrastruktur.

Immerhin gibt es in Teriberka inzwischen schon 250 Betten, ohne die Angebote des privaten Sektors zu berücksichtigen. Für die Tourismusbeauftragte sei das völlig falsch kalkuliert, da es dafür nur ein einziges Restaurant gäbe, und das hat vor eineinhalb Jahren eröffnet. „Die Strömung wächst schneller als sich die Region touristisch entwickelt. Es wird etwas gebaut und dann erst darüber nachgedacht, wie man die Menschen hierher bekommt.“

[mb/russland.REISEN]