St. Petersburg verzählt sich drastisch bei seinen Touristen

St. Petersburg verzählt sich drastisch bei seinen TouristenFoto: © Michael Barth

So etwas hat man bei der St. Petersburger Stadtverwaltung auch noch nicht erlebt: Im vergangenen Jahr wurde die Stadt von deutlich mehr Besuchern frequentiert, als offiziell gezählt wurden. Nun, das kann einmal passieren. Aber gleich um fast die Hälfte?

Im Smolnj von St. Petersburg steht man vor einem Problem. Wie konnte es geschehen, dass die tatsächlichen Besucherzahlen nicht mit den offiziellen übereinstimmen? Die Rede ist nicht etwa von einer Handvoll Gäste, die „irgendwie dazu gekommen sein müssen“, sondern es handelt sich um immerhin sieben Millionen Touristen, die offenbar anwesend waren, aber nirgendwo aufgetaucht sind.

Von rund acht Millionen Besuchern ging man aus, die während des Jahres 2018 der nördlichen russischen Hauptstadt ihre Aufwartung machten. Nun ergab jedoch die Auswertung einer Studie, die die Stadtverwaltung bei einer Market Guide-Agentur, die zuvor bereits vergleichbare Erhebungen in Moskau und anderen russischen Regionen durchgeführt hat, in Auftrag gegeben hatte, ein völlig anderes Bild.

Doppelt so viele Touristen wie angenommen

Es stellte sich heraus, dass sich in dem Zeitraum an die fünfzehn Millionen Ortsfremde in der Stadt am Finnischen Meerbusen bewegt haben müssen. „Es war unerwartet für uns“, musste die stellvertretende Leiterin des Ausschusses für Tourismusentwicklung der Stadt, Nana Gwitschija, vorgestern kleinlaut bei einem Geschäftsessen der St. Petersburger Hoteliers zugeben. Ausgelöst wurde das Zahlenchaos durch einen neuen Ansatz der Zählweise.

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Während man sich im Smolnj bei der Berechnung des internen Touristenstroms hauptsächlich auf Hotel- und Reisebürodaten sowie auf die Verkehrsstatistik konzentrierte, stützte sich die alternative Methode auch auf Daten von kurzfristigen Vermietungsdiensten, insbesondere von „Airbnb“. Diejenigen, die einen täglichen Mietservice in Anspruch nahmen und bei Verwandten lebten, blieben bei der Studie von vornherein außen vor.

…doch woher kamen sie?

Alle Besucher der Stadt, die bei Freunden und Verwandten unterkamen, beziehungsweise die Möglichkeiten des Couchsurfings nutzten, wurden dagegen bei der Zählung berücksichtigt. Das bedeutet, dass die Zahl der Russen, die 2018 St. Petersburg besucht haben, nach wie vor auf elf statt auf knapp über vier Millionen geschätzt werden muss. Diese stellten demzufolge den Löwenanteil unter den Stadtgästen über den gesamten Zeitraum.

Etwas unkomplizierter sei es bei der Erhebung der Touristen aus dem Ausland. „Hier ist die Berechnungsmethode einfacher“, sagte Nana Gwitschija, ohne auf weitere Details einzugehen. Laut dem Smolnj habe man der Einfachkeit halber die Daten des Grenzdienstes zur Bewertung der Einreise von Touristen übernommen, dabei jedoch vergessen, Reisende zu berücksichtigen, die in Moskau ankamen und per Zug oder Inlandsflug nach St. Petersburg gelangt sind.

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Diese neuen Zahlen bringen die Beamten jetzt in eine missliche Lage: Da die Technik eine andere ist, lässt sich inzwischen unmöglich feststellen, wie hoch die Touristenzahlen im Vergleich zum Vorjahr wirklich waren. Der Leiter der städtischen Tourismuskommission, Jewgenj Pankewitsch, bat nun die Agentur, auch die Anzahl der Touristen im Jahr 2017 mittels ihrer Methode neu zu zählen. Damals lagen de Schätzungen bei insgesamt etwa siebeneinhalb Millionen Personen.

Auf die Zählweise kommt es an

Pankewitsch hat bereits versprochen, die Touristenzahlen künftig nach einer neuen Methode zu messen. „Diese Methodik wird es uns ermöglichen, genauer zu berechnen, wie viele in- und ausländische Touristen nach St. Petersburg kommen und auch wie viel Geld sie ausgeben“, kündigte er an. Die Marktteilnehmer sind jedoch nicht sehr optimistisch, dadurch die nicht gemeldeten Touristen aufzuspüren.

Die Zuverlässigkeit dieser Berechnungen sei außerdem sehr fragwürdig, finden viele Experten der Reisebranche. Zudem habe das Entwicklungskomitee für Tourismus die Feinheiten der Methodik nicht mit den Marktteilnehmern diskutiert und es sei obendrein nicht klar, wie die Umfragedaten entstanden und interpretiert wurden. „Da mache Einwohner einiger Länder nur im Sommer Urlaub machen, würden sie bei einer Umfrage im Herbst nirgendwo auftauchen“, so die Skeptiker.

„Die Methode ist ohnehin nicht ausschlaggebend, aber es sollte zumindest immer die gleiche sein. Um ein klares Bild zu erhalten, muss man die Zahlen vergleichen können“, kommentierte Sergej Bulzow, der Direktor des Boutique-Hotels „Rossi Hotel & Spa“, die Messungen des Zustroms im Inbound-Tourismus für die kommenden Jahre. Nana Gwitschija als Sprachrohr des Ausschusses für Tourismusentwicklung konnte ihm am Ende nurmehr beipflichten.

[mb/russland.REISEN]