Sibiriens kulinarischer Nordosten

Das Leben im Norden und Nordosten Russlands unterliegt seiner eigenen Gesetzmäßigkeit. Das raue Klima, der karge und über lange Zeit gefrorene Boden sowie die extremen Temperaturunterschiede im Verlauf des Jahres prägen die Menschen die dort leben. Durch die Abgeschiedenheit haben sich Traditionen erhalten, die wie eh und je von Generation zu Generation weitergegeben werden. Auch in der Küche.

Die Küche einer Region sei deren Spiegel, so sagt man. Auch hier im Norden Sibiriens gilt diese Wahrheit. Und obwohl die klimatischen Bedingungen schon immer ein Hemmnis für die Entwicklung der Landwirtschaft war, hat es das kulinarische Wohlergehen der kleinen indigenen Bevölkerung nicht beeinträchtigten können. Die Speisen wurden seit jeher aus dem zubereitet, was vorhanden war, ohne dass es den Gaumenfreuden Abbruch tat.

Trotzdem sich die Errungenschaften einer Infrastruktur im Lauf der Zeit auch hier durchsetzen konnte, haben sich die Traditionen bei der lokalen Bevölkerung bewahrt. Gastronomische Ausflüge sind bekanntermaßen immer mit dem Eintauchen in die lokale Kultur geprägt. Reisen in den hohen Norden können daher auch durch dessen Küchen reichliche und mitunter unglaubliche Eindrücke vermitteln. Schließlich hat jedes Gericht hier seine eigene Legende. Man kann diese von einer freundlichen Köchin erzählt bekommen, aber auch persönlich erleben, indem man einfach das Essen probiert. Die Zutaten sind schlicht und einfach, wenngleich sie für unsere Gaumen mitunter sehr exotisch wirken.

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Besuch in den Küchen Magadans

Wenden wir uns auf unserer kulinarischen Reise durch den sibirischen Nordosten der Region Magadan zu, denn hier ehrt man die gastronomische Traditionen noch besonders. Den einfachsten Weg, um die kulinarischen Köstlichkeiten der lokalen Bevölkerung des Gebiets kennenzulernen, bietet der Besuch von Festen zu ihren Nationalfeiertagen Bakilddjak, Hebdenek oder Tuygivin. Auf Festivals und Traditionsveranstaltungen findet man überall Stände, die lokale Snacks und Speisen anbieten. Inzwischen werden in der Hafenstadt Magadan bereits gastronomische Touren vom örtlichen Fremdenverkehrsamt in das nord-evenkische Stadtviertel angeboten.

In der gesamten Region Magadan leben heute etwas mehr als 6.000 Menschen mit den unterschiedlichsten ethnischen Wurzeln. Wir finden hier beispielsweise Korjaken, Itelmenen, Tschuktschen und Kamtschadalen gleichermaßen wie Tschuwanen, Aleuten, Kumandiner, Orotschi, die Schor und sogar Eskimos. Sämtliche Vertreter dieser indigenen Völker der Region führen heute noch ihre traditionellen Lebensweisen und gehen ihren eigenen wirtschaftlichen Bedürfnissen nach, die sie durch Fischfang, die Jagd auf Meerestiere und mit der Rentierhaltung abdecken. Letztere wird vom städtischen Unternehmen Irbitschan sowie einigen Farmer-Initiativen tatkräftig unterstützt.

Die Gastro-Tour beginnt mit einem traditionellen Gericht des Nordens – gefrorenem hauchdünnem Carpaccio von Wild und Fisch. Stroganina, so der traditionelle Name, bedeutet nichts anderes als „in Streifen geschnitten“ und wird in Restaurants als die nördliche Delikatesse schlechthin serviert. Für die Einheimischen hingegen sind die eiskalten Scheiben Rentierfleisch und Fisch, die mit Salz und Pfeffer gewürzt werden, das übliche Essen.

Rituale für eine erfolgreiche Jagd

Ein traditioneller Brauch der Völker im hohen Norden Sibiriens ist uns aus Erzählungen von nordamerikanischen Indianern geläufig. Genauso wie diese begeben sie sich bei der, für ihre Familien überlebensnotwendigen, Jagd auf eine gemeinsame spirituelle Ebene mit den Tieren, bevor sie sie erlegen. Vor oder während der Jagd war es lange Zeit üblich, die toten Tiere um Vergebung zu bitten. Darüber hinaus forderte es der Brauch, nach seiner Beute zu „fragen“, damit sie ihre Gesundheit und Stärke auf diejenigen überträgt, die ihr Fleisch später essen. Zu diesem Zweck wurde das Ritual des „Treffens“ abgehalten – ein bestimmtes für jedes einzelne Tier.

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Beliebt sondergleichen ist in der nördlichen Küche ein Gericht mit dem Namen Jukola. Hierbei handelt es sich um getrocknetes Fleisch von Fischen, besonders des Kum-Lachses, der rund zwanzig Kilogramm schwer werden kann. Grundsätzlich ist das Trocknen und Dörren die häufigste Art der Völker des Nordens ihre Nahrungsmittel zuzubereiten. Die Gründe liegen einfach in der Praktikabilität. Die Speisen bleiben vitamin- und nährstoffreich und sind zudem kompakt. Zudem können sie über einen langen Zeitraum gelagert sowie auf lange Reisen mitgenommen werden. Außerdem stillt Jukola den Hunger ohne durstig zu machen.

Die Geschichte des Fischfestes Bakildydjak ist eng mit dem Jukola verbunden. Aus der Sprache der Ewenken übersetzt bedeutet das Wort „Zusammenkunft“. Für längere Zeit verließen die Ewenken und andere indigene Völker des Nordens ihre Lager und zogen an die Küste, wo sie dann mehrere Wochen lang fischten und den Jukola für den Winter vorbereiteten.

Einzug der modernen Speisen

Eigentlich ist es in den nördlichen Regionen überhaupt nicht üblich, Suppen zu kochen. Eine der seltenen Ausnahmen jedoch ist die Kilyk. Diese köstliche Suppe aus Äschen zubereitet, zeichnet sich durch ihre raffinierte und doch so einfache Zubereitung aus. Gerade unter den Fischern der Halbinsel Kolyma ist sie äußerst beliebt und verbreitet. Zubereitet wird die Kilyk üblicherweise im Lager. Unverwechselbar ist neben dem hellen Geschmack der unvergleichliche Duft des Gerichtes. Der typische, gesättigte Fischgeruch ist unglaublich appetitanregend. Diese Suppe erweitert den gastronomischen Horizont auf alle Fälle um ein Vielfaches.

Zwei weitere beliebte Methoden der Essenszubereitung in den lokalen Küchen sind räuchern und einsalzen. Die Grundlage dazu ist gut abgehangenes Wild, meistens Rentiere. Die Arbeit erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst werden die Tiere in Streifen geschnitten, dann muss das Fleisch an der frischen Luft trocknen bis es gut abgehangen ist. Es ist dabei äußerst wichtig darauf zu achten, dass das Fleisch, obwohl es im Freien hängt, nicht feucht wird. Gesalzen wird das vor sich hin darrende Fleisch dann nach und nach.

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Genauso wie der Jukola lässt sich das Dörrfleisch auf lange Wanderungen oder auf die Jagd mitnehmen. Es verdirbt nicht und dient als ausgezeichneter Kalorienspender, was sich besonders in der Kälte bemerkbar macht. Bei den Einheimischen ist ebenfalls üblich, das getrocknete Fleisch einfach in die Suppe zu geben. Sie schätzen den herzhaften Wildgeschmack, den die Brühe dadurch annimmt. Einige Jäger empfehlen es dagegen pur, mit einer Sauce aus Preiselbeeren dazu.

Pilze und Beeren

Wie die meisten anderen Beeren und Pilze auch, werden die Preiselbeeren getrocknet, um sie bis zur Weiterverwendung haltbar zu machen. Sie gelten als vitaminreich und den Blättern werden zudem antibakterielle Heilkräfte zugesprochen. Bei den Einheimischen ist sie ebenso wie die Bärentraube bekannt und wird der Einfachkeit halber auch als solche bezeichnet. Außerdem werden Preiselbeeren wegen ihres Geschmacks gern zusammen mit Moosbeeren verarbeitet.

Beliebt ist ein Salat aus Pilzen, Preiselbeermus und wilden Zwiebeln mit getrockneten Beeren dazu. In der Sprache der Korjaken heißt dieser Kilykil, was soviel wie „zerknitterter Fisch“ bedeutet. Die Kombination und der Kontrast seiner Zutaten geben dem Salat ein farbenfrohes Aussehen und einen einzigartigen Geschmack. Tiefer gehende Informationen über dieses Gericht zu finden, ist ziemlich schwierig, da Salate in der nördlichen Küche eigentlich gar nicht üblich sind. Neue Kombinationen der Zutaten können sich nur sehr schwer gegen die traditionelle Zubereitung der Fleisch- und Fischgerichte durchsetzen. Immerhin zählen Salate bei einigen wenigen Familien der nördlichen Völker schon zu deren Lieblingsgerichten.

Analog zum Brot kennt man bei den Völkern des Nordens sogenanntes Naan – ein runder Fladen und ein Relikt aus Sowjetzeiten. Ursprünglich stammt diese Brotvariante aus Zentralasien und dem südlichen Kaukasus. Die originale Küche der meisten Nationalitäten des Nordens hat zwar ihre eigenen Besonderheiten und Unterschiede, basiert aber auf grundlegend ähnlichen Traditionen und Regeln.

Jedwedes Kochen hier im Norden dient nur einem Zweck – dem Wunsch zu überleben. Für ausgefallene Kochkünste bleibt da wenig Platz und so empfinden die meisten Gäste die Rezepte der Region Magadan zunächst äußerst befremdlich. Wenn sie sich aber einmal darauf eingelassen haben, entdecken sie eine Welt voller unglaublicher Kontraste und interessanter, reichhaltiger Geschmacksnuancen. Auf geht’s – wann machen Sie ihren kulinarischen Ausflug dorthin?

[mb/russland.REISEN]