Während Städtereisen nach Moskau und St. Petersburg nach wie vor die Selbstläufer unter den Russlandreisen sind und auch die Flusskreuzfahrten wieder zu alter Stärke zurückzufinden scheinen, mangelt es an Touristen, die die Regionen tief im Landesinneren bereisen wollen. Die Branche übt sich in Ursachenforschung.
Visum-Barrieren und die mangelnde Werbung für Russland als Reiseziel im Ausland, um soviel gleich vorweg zu nehmen, wurden bei einem Treffen der Reiseveranstalter, die im sogenannten Inbound-Tourismus tätig sind, zusammen mit der neuen Leiterin von „Rostourism“ als Hauptursachen ausgemacht, die einem Wachstum der Touristenzahlen aus dem Ausland entgegenstünden.
Sarina Dogusowa, die ihren Vorgänger bei „Rostourism“, Oleg Safonow, auf dessen eigenen Wunsch hin ablöste, sammelte ihre Erfahrungen bei der Organisation sowie der informativen und analytischen Unterstützung der Olympischen Spiele in Sotschi 2014 und der Fußball-Weltmeisterschaft 2018. Seit 2012 saß die Südossetin im Büro des russischen Präsidenten für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. Nun soll die 34-jährige den Russlandtourismus auf Vordermann bringen.
Komplizierte Visaregeln
In einem waren sich alle Teilnehmer des Treffens einig: Durch das komplizierte Verfahren zur Erlangung eines russischen Visums würden potentielle ausländische Touristen abgeschreckt und dies spiegele sich unmittelbar im Einreisetourismus nieder. Darüber hinaus werde das Touristenvisum in der Russischen Föderation normalerweise nur für maximal 30 Tage erteilt, was wiederum für Touristen, die längere Reisen unternehmen wollen, ungünstig sei.
Der Generaldirektor des Reiseveranstalters „Intourist“, Viktor Topolkarajew, betonte, dass die Erfüllung der vom russischen Präsidenten gestellten Aufgabe, den Export von Dienstleistungen zu erhöhen ohne dabei die Visafrage zu lockern, notwendig sei. Topolkarajew beruft sich dabei auf die ausnahmslos positiven Erfahrungen während der Fußball-WM im vergangenen Jahr.
„Zunächst müsse man die Erfahrung mit der FAN-ID nutzen, die anstatt eines Visums an die Besucher der Weltmeisterschaft ausgegeben wurde. Erstellen Sie ein System zur Ausstellung elektronischer Visa, erweitern Sie die Liste der Städte, in denen es anerkannt wird, und legen Sie die Prioritätsländer fest, für die es künftig gültig sein soll“, wandte er seine Forderung an die Adresse von „Rostourism“.
„Schengenvisum“ als Vorbild
Topolkarajew denkt bei der Erprobung des E-Visa-Systems zunächst an Reiseveranstalter, die Gruppenreisen organisieren, da diese für die Bewegung von Touristen im ganzen Land verantwortlich seien und auch deren Abreise kontrollieren. „Wenn das Problem des Visums nicht gelöst wird, braucht man gar nicht erst darüber zu diskutieren, wer welche Aufgaben auf welcher Ebene festlegt und sich keinen Illusionen hingeben, den Tourismus durch Ausländer drastisch zu steigern“, glaubt auch Sergej Schpilko, der Präsident des russischen Verbandes der Reisebranche.
Nach Schpilkos Beobachtungen würden bereits verschiedene Optionen diskutiert, um die Visaformalitäten und vor allem die Einführung elektronischer Visa zu vereinfachen. Viktor Topolkarajew schlug im Namen der Reiseveranstalter zum Beispiel vor, Visa nach Vorbild der Schengen-Staaten mit der Gültigkeitsdauer von einem Jahr und mehrfacher Einreise, an ausländische Touristen auszustellen.
Nur so, ist sich der Chef von „Intourist“ sicher, werde es möglich sein, junge Touristen nach Russland zu ziehen, da diese erfahrungsgemäß meist spontane Entscheidungen bezüglich ihrer Reisepläne träfen. Dass dabei das Vorhaben, die besonders bei dieser Klientel beliebten Mini-Hotels und Hostels per Gesetz zu schließen nur kontraproduktiv sein kann, dürfte sogar Branchenfremden deutlich sein.
Mangelnde Gesamtvermarktung
Als zweites Hauptproblem, Auslandstouristen ins Reiseziel Russland zu locken, machten die Reiseveranstalter das mangelhafte bis nicht vorhandene Marketingkonzept verantwortlich. Zwar präsentieren sich einzelne Gebiete mehr oder weniger regelmäßig auf diversen Tourismusmessen im Ausland, wie zuletzt die Regionen Sachalin und Kamtschatka auf der Berliner ITB, jedoch fehle das gesamtheitliche Element und die dafür notwendige Geschlossenheit, hieß es.
„Die letzte Ausstellung in Berlin hat gezeigt, dass unsere Stände einzeln und verstreut sind. Es ist nicht klar, worum es uns geht. Ich denke, Russland muss neu formatiert werden und es sollte qualifizierter sein“, befand wenige Tage zuvor Alexej Konjuschkow als stellvertretender Leiter von Rostourism auf einem Allrussischen Treffen zu aktuellen Themen der Tourismusentwicklung in Russland, im Rahmen der internationalen Tourismusmesse „Intourmarket“ in Moskau.
„Das Verteilen von Broschüren ist keine Methode. Wir brauchen viel bessere Instrumente zur Werbung für das Land im Ausland“, monierte Konjuschkow die Effizienz der Tourismusaktivitäten. Auch Sarina Dogusowa nimmt die Reiseveranstalter in die Pflicht: „Auf der Messe in Berlin haben wir gesehen, wie andere Länder vertreten sind und wie unser Land es ist“. Sie weiß aufgrund ihrer Arbeit als Mitorganisatorin von Großveranstaltungen um die Wirkung der Werbung.
Finanzspritze vom Staat
„Die USA und Kanada sind auf einem einzigen Stand mit einem einheitlichen Stil und mit einem einheitlichen Konzept vertreten. Für Russland gibt es mehrere und verschiedene Stände, aber am Ende gibt es keine einheitliche Wahrnehmung des Images unseres Landes bei den Touristen aus anderen Ländern der Welt“, kündigte sie an, dass die Werbemaßnahmen eine ihrer Hauptaktivitäten sein werden.
Da es, wie sie betonte, notwendig sei, Geld zu investieren und die Zusammenarbeit der Marktteilnehmer zu nutzen, scheint es nicht von ungefähr zu kommen, dass der russische Haushalt bis zum Jahr 2021 umgerechnet weit mehr als 250 Millionen Euro für die Entwicklung von Kultur und Tourismus bereitstellen will. Damit soll sichergestellt werden, dass ein Extrabudget für den Bau touristischer Infrastrukturen vorhanden ist.
Das föderale Zielprogramm „Entwicklung des Inlandstourismus und des Inbound-Tourismus in der Russischen Föderation für 2019-2025“ wurde in Zusammenarbeit mit der staatlichen Tourismusbehörde entwickelt. Dabei stellt der Staat Mittel für die Basisinfrastruktur zur Verfügung und private Investoren investieren in den Bau von Hotels, Restaurants und Ausstellungsobjekten.
Zusätzlich glauben die meisten Vertreter der Reisebranche, dass es langfristig notwendig sei, den Staat auf die Möglichkeit einer Abschaffung der Mehrwertsteuer für den grenzüberschreitenden Reiseverkehr aus dem Ausland hinzuweisen. Auch darum werde sich Sarina Dogusowa kümmern, kündigte sie im Anschluss des Treffens an. Schließlich beabsichtige sie, den Dialog zwischen Reiseveranstaltern, Industrie und Staat zum Wohl der gesamten Tourismusbranche aufrechtzuerhalten.
[mb/russland.REISEN]