Nordufer des Baikalsees nur für gut Betuchte

Der Baikalsee in Sibirien zieht jährlich Massen von Besuchern in seinen Bann. Wie Heuschrecken fallen sie in Schwärmen über das Südufer und die Insel Olchon her. Ihre Hinterlassenschaften bestehen aus Müll und Unrat. Der Norden des Sees ist dagegen nahezu unberührt.

Fast eine halbe Million Touristen zählt man über das Jahr am Baikalsee. Gut 70 Prozent davon stammen aus dem Inland. Alleine auf der Insel Olchon tummeln sich mittlerweile 30,000 Besucher pro Saison, etwa 10.000 Menschen leben sowieso schon da und sie alle hinterlassen ihren Müll. Auf Olchon fallen so im Jahr gut 700 Tonnen an. Abfall, der das komplexe Ökosystem der Baikal-Region noch zusätzlich belastet.

Am Nordufer des Sees hingegen gibt es noch das klare Wasser, für das der größte und tiefste Süßwassersee der Erde berühmt ist. Reinstes Wasser in Trinkwasserqualität. Hier im Norden scheint das Bioreservat noch intakt zu sein. Dank einer schlechten Infrastruktur, die verhindert, dass dort die Horden auch noch Einzug halten. Wenn es nach der Regierung der Republik Burjatien geht, soll sich das jedoch bald ändern. Man plant für den Tourismus aufzurüsten.

Auch unter den Einheimischen sei diese Region nicht sonderlich bekannt, sagt Olga Scherchojewa, die Marketingleiterin des Tourismuszentrums von Burjatien. Nicht einmal die Hälfte aller Menschen die in der Republik leben, sei jemals an der Nordküste des Baikalsees gewesen. Diese Ecke sei definitiv die schönste des ganzen Sees, schwärmt die Frau, in deren Aufgabenbereich es fällt, möglichst viele Touristen in das Paradies zu locken.

Teurer Norden

„Etwa 50 Prozent der Besucher kommen aus Europa hierher, sagt Scherchojewa und der Unterton in ihrer Stimme verrät, dass es ruhig noch ein bisschen mehr sein könnten. Wegen der Transportprobleme könnten nur VIP-Touristen, so nennt sie die betuchten Gäste, dorthin reisen. „Es kommen nur die, die bereit sind, riesige Geldbeträge zu bezahlen“, beklagt sie. Die Hotelpreise an der Nordküste des Sees bestätigen ihre Aussage.

Die teuersten Unterkünfte des Baikalsees befinden sich genau auf dieser Seite, nämlich in der Nähe der Stadt Sewerobaikalsk. Die Baikal Residence hat lediglich 17 Zimmer und der Preis variiert. Umgerechnet 300 US-Dollar bezahlt der Gast pro Nacht in der Nebensaison. Während der Hochsaison klettert der Preis dann bis auf exorbitante 1.100 US-Dollar. Wer mag, kann sich auch einen der beiden Bungalows des Hotels mieten. Die kosten dann pro Tag zwischen 2.300 und 8.400 US-Dollar.

„Natürlich ist das Hotel für Touristen mit fetten Brieftaschen gedacht“, gibt dessen leitender Manager Wadim Mamontow unumwunden zu. „Wir empfangen Gäste aus den USA, Mauritius, der Schweiz, Kasachstan, Polen, Italien und Spanien“, erklärt er das, seiner „Residenz“ würdige, Klientel. Es gibt allerdings auch billigere Unterkünfte am Baikal-Nord, das muss man dazu sagen. Man kann ein Zimmer durchaus auch für 35 bis 85 US-Dollar finden. Sicherlich, das Ambiente ist auch dementsprechend.

Keine Infrastruktur

„Wir können ja auch nicht sagen, dass die lokale Infrastruktur völlig unentwickelt ist“, räumt Marketingleiterin Scherchojewa ein. Laut Mamontow seien Urlauber aber grundsätzlich dazu bereit, mehr zu bezahlen, wenn sie die am Nordufer erhaltene, unberührte Natur sehen wollen. Deshalb biete man ja auch Motorboote und geländegängige Fahrzeuge für Expeditionen, wie er die Ausflüge bezeichnet, an. „Sanfter Tourismus“, wie er vielerorts schon zum Erhalt der Natur praktiziert wird, ist das nicht gerade.

„Unsere Gäste wollen sich in einer Gegend aufhalten, in der sie aus dem Boot aussteigen und frische Spuren von Bären vorfinden. Sie wollen etwas sehen, was von der Menschheit unberührt ist. Sie haben im Hinterkopf, dass sie das sehr wahrscheinlich nicht an der Südküste finden werden.“ Über die Widersprüchlichkeit seiner Pläne scheint sich der Hoteldirektor keine allzu großen Gedanken zu machen. De Thermalquellen am Baikal seien ohnehin zu einem beliebten medizinischen Reiseziel geworden.

Seine Touristen reisen zum Kap Kotelnikojski, um ein Bad in der dortigen Thermalquelle zu nehmen. Zur nahezu unberührten Sandinsel Jarki zum Sonnenbaden und Angeln, zum Gitara-See und all den anderen zauberhaften Orten – eben solange sie noch unberührt und zauberhaft sind. „Diese Touren sind sehr faszinierend, aber doch ziemlich teuer und sind daher nur für einzelne Besucher gedacht“, sagt Scherchojewa.

Die Einwohner von Burjatien, die entlang der Ostküste des Sees leben, würden nur selten an die Nordküste des Baikal reisen, heißt es. „Die Tourismusunternehmen der Region wissen fast nichts über das Baikal Residence Hotel“, sagt der Direktor, und das Geld sei dabei nicht das einzige Problem. Vielmehr sehe Mamontow die Schwierigkeiten in der Zugänglichkeit. „Burjatien braucht eine regionale Fluggesellschaft“, hat er die Lösung gleich parat.

Unberührte Natur

In der Tat sind Flüge nach Sewerobaikalsk von Irkutsk aus, einer Stadt etwa 50 Kilometer von der Südküste des Baikalsees entfernt, derzeit der schnellste Weg, um an die Baikal-Nordküste zu gelangen. Die Bahnfahrt ab Ulan-Ude, der Hauptstadt von Burjatien, bis nach Sewerobaikalsk dauert 40 Stunden. Die Touristen müssen zudem noch umsteigen. Eine weitere Möglichkeit nach Sewerobaikalsk zu reisen, ist eine 10-stündige Bootsfahrt, ebenfalls von Irkutsk aus, die jedoch nur im Sommer verfügbar ist.

Laut Mamontow bedürfe es deshalb auch einer grundsätzlichen Entwicklung des regelmäßigen Wassertransports auf dem Baikalsee. Der Hafen Turka an der Ostküste des Sees liegt etwa 160 Kilometer von der Hauptstadt Ulan-Ude entfernt und hat mit Sewerobaikalsk keine Verbindung. Seiner Meinung nach wäre schon mit einer zweispurigen Straße ans Nordufer des Baikalsees gedient.

Eigentlich hatte er ja bis vor kurzem die Baikal Residence nicht einmal beworben, da seine Kunden gerade deren Abgeschiedenheit zu schätzen wüssten. Scherchojewa stimmt zu, dass an diesem einzigartigen Ort dem Massentourismus, der bereits zum Problem für die Südküste des Sees geworden ist, Grenzen gesetzt werden sollten. Sie glaubt aber, dass so der Norden des Baikalsees für mindestens weitere 50 Jahre ein Ziel für VIP-Touristen bleiben werde.

Man befindet sich offenbar in einem Interessenkonflikt, dort an der noch unberührten Nordküste. Denn wenn Scherchojewa erklärt, chinesische Touristen haben den Norden des Sees bisher noch nicht erreicht, schwingt Kummer über das bisher entgangene Geschäft mit den Gästen aus Ostasien mit. So müssen es also vorerst noch die Betuchten richten. Denn für Geld kann man sich ja ziemlich alles kaufen – auch die letzte unberührte Natur des Baikalsees.

[mb/russland.REISEN]