Norden der Krim zum Notstandsgebiet erklärt [mit Video]

Norden der Krim zum Notstandsgebiet erklärt [mit Video]

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet ereignete sich Ende August auf der nördlichen Krim ein Chemieunfall, dessen Auswirkungen auf die Umwelt und die Bevölkerung stärker sind, als zunächst angenommen. Heute wurde das Perekop-Gebiet schließlich zum Notstandsgebiet erklärt.

Offiziell hieß es am 25. August bei den Behörden der Krim, die Kinder aus dem Grenzort Armjansk würden „in den Urlaub fahren“. Vorschulkinder in Begleitung ihrer Eltern und die älteren in Gruppen mit ihren Lehrern fanden sich unvermittelt in Gesundheitszentren von Evpatoria und Peschanoje in verlängerten Ferien wieder. In Wirklichkeit jedoch war die Aktion eine straff organisierte Evakuierung: Über der Grenze zur Ukraine schwebte eine riesige Wolke aus giftiger Säure.

Metallgegenstände in Häusern und Wohnungen waren über Nacht mit klebrigem Rost bedeckt, die Ernte von Tomaten und Paprika wurde noch in den Gemüsegärten verbrannt. Die Leute haben Angst gehabt, ihre Kinder auf die Straße zu lassen und wir trauten uns kein Obst und Gemüse mehr zu essen, erzählen die Menschen in der Region später. Über allem habe eine ölige Verdunstung gehangen. Davon betroffen war der gesamte Norden der Halbinsel.

Übelkeit und Reizung der Atemwege

Der Leiter der Republik Krim, Sergej Aksenow sagte danach, dass die Gesundheit und das Leben der Bürgern nicht bedroht sei. Seitdem sieht man ihn regelmäßig in Armjansk, das letztendlich zum Katastrophengebiet erklärt wurde. Mittlerweile sind Gazeverbände, Absorptionsmittel und Antihistaminika zu den beliebtesten Produkten in den Apotheken der gesamten Region geworden, viele fragen nach Medikamente für die Leber, um die Vergiftungen des Körpers zu reduzieren.

Ein starker saurer Geruch hat sich in der Gegend ausgebreitet, Menschen leiden unter Schwäche und Übelkeit, haben Anfälle von Allergien. Die kahlen Obstgärten, normalerweise um diese Jahreszeit voller Früchte, bieten ein gespenstisches Bild. Besonders betroffen sind Aprikosen und Apfelbäume. Die wenigen noch belaubten Bäume und sämtliche Hausdächer bedeckt eine giftgelbe Schicht. Die dunklen Kuppeln der Dorfkirche im Dorf Perekop gemahnen symbolisch an die apokalyptische Szenerie.

Entlaubte Obst- und Gemüsegärten

Den Verursacher hat man schnell gefunden: Das Wasserreservoir der Titan-Fabrik „Krimskj TITAN“, die dem ukrainischen Staat gehört. Das anfallende Schwefeldioxid werde normalerweise in diesem Reservoir gebunden, heißt es. Aufgrund der Tatsache, dass die Ukraine den Nord-Krim-Kanal 2014 versiegen ließ und der anhaltenden Trockenheit der vergangenen Wochen, wurde das giftige Gas freigesetzt, erklärte die Ökologin Margarita Litvinenko den Vorfall. Der Werksbetrieb wurde vorübergehend eingestellt.

„Wenn auf der Straße unangenehmer ätzender Geruch und Schwitzen im Hals auftreten, wird empfohlen, Nase und Mund mit feuchtem Verbandsmull zu bedecken, Türen und Fenster zu schließen, Kinder nicht alleine zu lassen und die Belüftung von Autos und Räumen abzustellen.

Wenn Sie im Freien bleiben, müssen Sie Ihre Haut und Ihren Kopf so weit wie möglich bedecken und Sie müssen sich mit viel fließendem Wasser waschen.“. Die guten Ratschläge der Moskauer Leiterin der Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadzor, Anna Popova, klingen hilflos.

Ukraine trägt ihren Teil bei

De Facto sind die Krim-Behörden und die Bewohner gleichermaßen auf sich selbst gestellt. Private Hotels boten unverzüglich ihre Hilfe an. Fünfhundert Plätze an der Südküste sind vorbereitet, aber mindestens dreitausend würden benötigt. Um jungen Flüchtlingen zu helfen, könnte die Septemberschicht der Artek-Erholungsstätte teilweise gestoppt werden, hieß es sofort bei der Verwaltung in Gursuf bei Aluschta. Die Ukraine behauptet indes, Russen hätten bereits zu Tausenden bei ihnen Schutz gesucht.

Wie es nun weitergehen soll weiß niemand so genau. Die Ausdünstung aus überschüssigem Chlorwasserstoff und Schwefeldioxid habe gestern über dem Perekop ihre bisher höchste Konzentration erreicht, sagte Natalia Penkovskaya, die Leiterin der regionalen Abteilung von Rospotrebnadzor in Jalta. Der zulässige Wert sei bereits um das Neunfache überschritten worden und die Wolke zieht wegen des.Windes aus nordöstlicher Richtung weiter ins Landesinnere.

Moskau ist weit weg

Gestern hat man sich auf Grund der Verschlechterung der ökologischen Situation endlich dazu entschlossen, Armjansk zum Notstandsgebiet zu erklären. Die in Notunterkünfte verbrachten Kinder würden zunächst nicht in ihr Zuhause zurückkehren. Dies habe der stellvertretende Leiter des Ministeriums für Notfälle auf der Krim, Alexei Fridman, unter Berufung auf neue Luftproben in der Stadt bestätigt, berichtet die Zeitung „Nowosti Kryma“ in ihrer heutigen Ausgabe.

Eingerichtete Notfonds sollen zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt bekommen, außerdem habe man kriminaltechnische Ermittlungen wegen Emission von umweltverschmutzenden Substanzen aufgenommen, hieß es bei den Behörden in Moskau. Aktuell forderte der Gesundheitsminister der Republik Krim, Alexander Golenko, die Bewohnern von Armjansk, Perekop und den umliegenden Siedlungen auf, die Sicherheitsregeln einzuhalten:

„Wie wir feststellen, verschlimmert sich die Situation in den Nachtstunden, so dass Sie Ihre Sachen zu der Zeit nicht im Freien trocknen dürfen“, so Golenko. Er empfahl, nicht sofort zu benutzen, was nachts draußen war, zum Beispiel Handtücher. „Ein Kind wurde mit einem Handtuch abgetrocknet und es traten allergische Reaktionen auf der Haut auf“, sagte er. Aber auch der Gesundheitsminister kapituliert: „Es gibt keine anderen spezifischen vorbeugenden Maßnahmen.“

[mb/russland.REISEN]