Mit Humboldt quer durch Russland

Mit Humboldt quer durch Russland

250 Jahre wäre er heute alt – Alexander von Humboldt, der Universalgelehrte, der Abenteurer, der Pionier. Dreißig Jahre nach seiner legendären Orinoko-Expedition trat er seine zweite große Reise an: Von der Newa bis zum Altai.

Auch der renommierte Verlag „C.H. Beck“ ließ es sich nicht nehmen, Alexander von Humboldt anlässlich seines Jubiläumsjahres standesgemäß zu würdigen. Hatte sich der gebürtige Berliner 1804 mit seinen Forschungsreisen nach Südamerika bereits unsterblich gemacht, unternahm er fast dreißig Jahre später eine Russlandexpedition, die, bis dato relativ unbeachtet, weit weniger spektakulär verlief. Ein vor kurzem veröffentlichtes Buch zeichnet nun diese Reise nach.

Anders als im südamerikanischen Dschungel musste sich Humboldt in Russland seinen Weg nicht bahnen, sondern bewegte sich durch weithin bekannte Landstriche, die schon lange vor ihm erschlossen wurden. Sein Auftrag in Russland, der vom Zaren persönlich finanziert wurde, war schlicht und ergreifend die fundierte Kartografierung der imperialistischen Landnahme Südsibiriens sowie die geologische Einschätzung zur Ausbeutung der dortigen Minerallagerstätten.

Ein Schatzsucher des Zaren im politischen Spannungsfeld

„Voll wie ein siedender Topf“ sei sein Kopf am Ende der Reise gewesen, wird er später sagen. Einer Reise, die am 12. April 1829 in Berlin begann und ihn, dank 12.244 Pferden und 568 Poststationen, 19.000 Kilometer über Riga, Königsberg, St. Petersburg und den Ural bis an die chinesische Grenze und zurück führen sollte. Seinen sechzigsten Geburtstag feierte Humboldt Mitte September 1829 auf der östlichen Seite des eurasischen Grenzgebirges.

Wie er selbst sagte, sei diese Reise ein Wunschtraum seit seiner Jugend gewesen, den ihm schließlich der kaiserliche Hof, nicht ohne eigene Interessen, ermöglichte. Zwar hatte er Vorläufer, auf deren Berichte er sich stützen konnte, dennoch manövrierte sich Humboldt stets durch das damalige imperialistische Spannungsfeld zwischen Russland, England und China und es wurde von ihm erwartet, politische Haltung zu vermeiden.

„Die Vorsorge der Regierung für unsere Reise ist nicht auszusprechen“, schreibt er in einem seiner Briefe, der Korrespondenz mit Kollegen, Familie und Freunden, aus der das Buch zusammengesetzt ist. So brachte er dezent zum Ausdruck, dass die gesamte Entourage auf Schritt und Tritt überwacht und kontrolliert wurde. Humboldt wusste selbst, dass er sich indirekt zum disponierten Schatzsucher des Zaren machte.

Von der höfischen Gesellschaft zu Nomaden und Siedlern

Bevor sich der Forschungsreisende dem gesellschaftlichen Ringelpiez St. Petersburgs bei Einladungen und Bällen hingibt, lässt er seinen Bruder aus Narva wissen, wie sehr ihn der russische Winter, der sich ihm noch einmal zeigt, beeindruckt und später, dass die Instrumente gut in der Zarenmetropole angekommen seien. „Unser aller Gesundheit ist vortrefflich“, schreibt er und moniert, dass das ihm unbekannte Land nur selten den gewohnten Berliner Standard erreicht.

Die Wege zu schlecht, das Essen abscheulich und die Menschen zu unkultiviert – Humboldts Reise nimmt mitunter groteske Züge an, wenn er einerseits von den „schmutzigen Kirgisen“ berichtet, gleichzeitig jedoch von deren sagenhaften orientalischen Lebensart schwärmt. Immerhin kann er das Ungeziefer, das ihn fortwährend plagt, beim Namen nennen. „Ohne Beschwerden kann man keinen Genuss im Leben haben“, kommentiert er lapidar die Mückenplage im sibirischen Tobolsk.

Wie sehr er Sibirien an der märkischen und brandenburgischen Heimat misst, wird deutlich, wenn er beseelt von der Schmiedekunst in Slatousk berichtet, die einen kleinen Ort im Ural zu einer deutschen Fabrikstadt mit „vaterländischen Einrichtungen und Sitten“ werden ließ. Humboldt verkörperte in Asien den Europäer einer aufgeklärten Gelehrtenrepublik sowie den Weltbürger im Sinne Kants. Doch letztendlich war er nur ein vermeintlich neutraler „Dokumentarist der Macht“.

Deutsches Brauchtum und der Jugendtraum Kaspisee

Zwar empfand der Wissenschaftler Russland im Nachhinein „nicht so entzückend“ wie Südamerika, doch die Arbeiten waren ergiebig: Alleine vierzehn Kisten mit, überwiegend geologischen und mineralogischen, Belegstücken wurden nach dem achttägigen Aufenthalt im Ural zunächst in die russische Hauptstadt versandt, bevor ein Teil davon an diverse Kabinette in Europa weitergeleitet wurde.

Für die Rückreise von Orenburg wählte Humboldt den Weg über die „deutschen Colonien“ entlang der Wolga nach Süden, da es ihm offensichtlich das Völkergemisch Astrachans angetan hat. Sich für die „unministerielle“ Form des Briefes beim russischen Finanzminister Graf Georg von Cancrien entschuldigend, schrieb er: „Ich kann mich an Ihrem Reich nicht sättigen, nicht sterben, ohne das Kaspische Meer gesehen zu haben!“

Folgerichtig konzentriert sich auch der letzte Forschungsschwerpunkt der Humboldt-Expedition durch Russland auf die Hafenstadt, das Wolgadelta und die Kaspisee. Bei seiner Ankunft in Moskau wurde der deutsche Forscher daraufhin überschwenglich als „Prometheus unserer Zeit“ gefeiert. Nach ausführlichem Bericht bei seinen Unterstützern in St. Petersburg traf Alexander von Humboldt schließlich am 8. Dezember 1829 um 22.00 Uhr wieder zuhause in Berlin ein.

Über die Autoren:

Oliver Lubrich ist Ordinarius für Neuere deutsche Literatur und Komparatistik an der Universität Bern. Seit 2013 betreut Lubrich, der unter anderem im kalifornischen Berkeley, Frankreich und Costa Rica studiert hat, als Leiter das Editionsprojekt „Alexander von Humboldt: Sämtliche Schriften“. Für das vorliegende Buch „Die Russland-Expedition“ publizierte er, statt eines Reiseberichtes, den Schriftwechsel des Forschers mit seiner Familie, Kollegen und Auftragsgebern.

Karl Schlögel gilt als profunder Kenner der ehemaligen Sowjetunion sowie des heutigen Russlands. Bis 2013 lehrte er Osteuropäische Geschichte an der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Schlögel ist Autor diverser Bücher, die sich vor allem der russischen Gesellschaft widmen. In seinem Nachwort zu Humboldts Russland-Reise versucht er einen Konsens zu den Interessen des Zarenreiches an der Expedition zu ergründen.

Lubrich Oliver, „Alexander von Humboldt. Die Russland-Expedition – Von der Newa bis zum Altai“, Verlag C.H.Beck textura 2019, 220 Seiten, 2 Karten, ISBN: 978-3-406-73378-9

[mb/russland.REISEN]