Jakutien: Die Wüste lebt

Jakutien: Die Wüste lebtFoto: USFWS Public Domain CC0 via Pixnio

Die nordostsibirische Republik Sacha, allgemein nach ihren Bewohnern als Jakutien bekannt, hat mehr zu bieten, als nur Tundra, Dauerfrost und Kälte. Was die wenigsten wissen: Es gibt dort sogar „echte“ Wüsten. Die will man nun für die jakutische Wirtschaft nutzen und für den Outdoor-Tourismus vermarkten.

Eine Sage erzählt, dass Gott, als er die Erde erschuf, einen Engel mit einem Sack voller Reichtümer über Sibirien geschickt hat. Als dieser Jakutien überflog, wurden ihm vor Kälte die Finger steif, und er ließ alles fallen. Die ganzen Reichtümer, Gold, Silber und Platin fielen auf die Erde. Aus Zorn über seinen Verlust strafte er jedoch diese Region mit ewigem Winter.

Etwas nüchterner betrachtet ist Sacha das flächenmäßig größte Föderationssubjekt Russlands und die größte unterstaatliche Territorialeinheit der Welt. Immerhin leben hier auf drei Millionen Quadratkilometern, das entspricht dem europäischen Festland, knapp eine Million Einwohner. Zwar ist die Republik reich an Bodenschätzen, aber durch den Permafrost bedingt sehr arm an Trinkwasser. Aus diesem Grund beschäftigen sich Wissenschaftler bereits seit einigen Jahren mit dem Grundwasserspiegel, der unter Wüsten verborgen ist. Denn, und das ist bemerkenswert, unter dem Sand ist der Boden nicht gefroren.

Frostgeschützte Trinkwasser-Reservoirs

Normalerweise ist der Boden in der Permafrostzone bis in eine Tiefe von 400 bis 600 Metern durch die extreme Kälte vereist. Entlang der Flusstäler Jakutiens, an Lena, Wiljui und Lindja, bildeten sich gegen Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 bis 27.000 Jahren riesige Dünengebiete von bis zu einer Million Quadratkilometern. Da das Klima zu dieser Zeit zwar eisig kalt, aber schneefrei war, konnten starke Winde Sedimentpartikel aus den, damals noch wesentlich flacheren, Flussläufen über weite Distanzen verwehen. So entstanden in der Folgezeit ausgedehnte Wüstengebiete, die heute noch eine Fläche von mehr als 60.000 Quadratkilometer bedecken.

Wie bei anderen Sandwüsten der Erde, beispielsweise der afrikanischen Sahara oder der Karakum in Zentralasien, bildet auch bei den jakutischen Wüsten, von den Einheimischen Tukulan genannt, der Sand einen „Deckel“, der über dem Grundwasser liegt. Dieses erwärmt den Sand zwar nur geringfügig, jedoch ausreichend genug, so dass der Bodenfrost nicht in die Tiefe gelangt, sondern flächig verteilt wird. Die Wissenschaft spricht im Fall dieser gefrorenen Wüsten von sogenannten Kryo-Wüsten. Dass das Grundwasser von reinster Trinkwasserqualität ist, ist dem Umstand zu verdanken, dass Schmelzwasser in die Tiefe sickern kann.

„In den Dünen gibt es viele Schmelzwassergebiete, die für den Permafrost in Jakutien generell untypisch sind. Es hat hier riesige Grundwasserreserven mit sehr reinem Trinkwasser, das aus Quellen entspringt. Sogar im Winter bei Frost“, erklärt Professor Aleksej Galanin, Wissenschaftler des Instituts für Permafroststudien der Sibirischen Abteilung an der Russischen Akademie der Wissenschaften. Er und seine Kollegen haben nun mit Unterstützung der Russischen Stiftung für Grundlagenforschung begonnen, Jakutiens Kryo-Wüsten genauer zu erforschen. Zunächst sollen die unterirdischen Trinkwasservorkommen kartographiert und mittels eingebrachter Sonden untersucht werden.

Tourismus angeblich kein Widerspruch

Galanin zufolge könnten die Grundwasservorkommen in den Tukulans helfen, das Problem mit dem Trinkwasser in der Republik zu lösen. Jakutien, erklärt er, steht vor großen Wasserproblemen. In den Permafrostgebieten ist der Wassermangel überdurchschnittlich groß, besonders in kleinen Siedlungen, die weit von großen Flüssen entfernt sind. In Jakutsk wird im Sommer und Winter Wasser aus der Lena gepumpt, während kleinere Flüsse im Winter vollständig zufrieren. Es ist auch unmöglich, Wasser aus schmelzenden Seen zu verwenden, da diese voller Bakterien sind. Einzig das Grundwasser im Dünengebiet ist von entsprechender Qualität.

Die Kryo-Wüsten Jakutiens sind jedoch nicht nur für die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung von Nutzen. Fachleute betonen den nicht zu unterschätzenden Faktor für die regionale Wirtschaft. Der feine Quarzsand mit seinen abrasiven Eigenschaften wäre als Basismaterial für Schleif- und Poliermittel geradezu prädestiniert. Zusätzlich stellt auch die touristische Vermarktung der Dünengebiete einen gewinnbringenden Aspekt dar. Hierbei werden Vergleiche mit dem Kobuk Valley National Park in Alaska angestellt, bei dem es sich ebenfalls um eine Kryo-Wüste handelt, die schon lange für den Outdoor-Tourismus genutzt wird.

Nach Meinung von Experten würde der Tourismus den Tukulans nicht einmal Schaden zufügen, da sich die Landschaft schnell wieder erholen könne. „In den Dünen gibt es viele Seen mit viel Fisch, hier sind Hechte von über eineinhalb Metern normal. Die Touristen können hier schwimmen und angeln. Weitere Attraktionen wären Reiten oder mit dem Motorrad oder einem Geländewagen durch die Wüste zu fahren“, sagt Galanin. Das Thema Naturschutz sei ihm zufolge kein großes Thema, denn die Gäste würden der Natur nicht schaden. Innerhalb weniger Wochen habe der Wind alle Spuren verweht und das gestörte Landschaftsbild wiederhergestellt, glaubt der Wissenschaftler.

[mb/russland.REISEN]