Gastronomie soll Eckpfeiler im Russlandtourismus werden

Gastronomie soll Eckpfeiler im Russlandtourismus werdenFoto: © Michael Barth

Andere Länder, andere Küchen. Man fährt nach Italien der Pizza wegen, Thailand ist für seine frisch zubereitete Straßenküche bekannt und das Wiener Schnitzel ist und bleibt die kulinarische Marke Österreichs. Nun denkt man auch in Russland darüber nach, den gastronomischen Tourismus in die Prioritätenliste des Programms zur Entwicklung des Tourismus in Russland aufzunehmen.

Schon längst ist man dazu übergegangen, nicht nur regionale Spezialitäten zu vermarkten, sondern gleich das komplette Produkt. So endet nicht selten der Besuch in einer typischen Weingegend bei Winzerbraten, Fisch in Rieslingsud und Traubensorbet. Für den österreichischen Fernseh- und Sternekoch Johann Lafer beispielsweise sei es eine immer größer werdende Gruppe von Touristen, die die kulinarischen Angebote einer Region maßgeblich in die Urlaubsplanung einfließen lasse.

Foto: © Michael Barth

„In Anbetracht der Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur wird der Tourismus für die russischen Regionen immer zugänglicher“, schreibt Irina Klimkina, die Vorsitzende einer Initiative zur Förderung des Gastrotourismus in Russland, in einem Vorschlag zum Konzept des föderalen Zielprogramms „Entwicklung des Inlandstourismus in der Russischen Föderation“.

Potenzial der russischen Küche nutzen

Daher könne die Entwicklung des Gastrotourismus unter Einbeziehung einzigartiger regionaler Produkte das Interesse der Touristen für einen Urlaub in Russland positiv unterstützen, ist sie der festen Überzeugung. Bisher identifiziert sich das Konzept des Programms hauptsächlich auf fünf Komponenten des Fremdenverkehrs: Aktive Erholung, Wellness, Kreuzfahrt, Umwelt und Kultur sowie Bildung.

„Wir schlagen vor, diese Liste um die Richtung des gastronomischen Tourismus zu ergänzen“, heißt es weiter in dem Schreiben. Zusätzlich werde das erste nationale gastronomische Institut Russlands gegründet. Der Verband plant, junge Fachkräfte auszubilden, die sich mit der Geschichte und Kultur der russischen Küche beschäftigen. Ähnliche Einrichtungen, die sich für die Förderung nationaler Küchen- und Gastronomiemarken im Ausland einsetzen, gibt es bereits in fünf Ländern der Welt.

Foto: © Michael Barth

„Gibt es überhaupt eine Nachfrage nach solchen Spezialisten in Russland und kann das Institut Experten für den gastronomischen Tourismus gewinnen“, fragte daraufhin folgerichtig die russische Zeitung“Iswestija“. „Wir haben lange über die Notwendigkeit gesprochen, eine kulinarische Akademie zu gründen“, erklärt Viktor Beljajew, der Präsident der Nationalen kulinarischen Vereinigung Russlands. Er fordert vor allem eine fortschrittliche Ausbildung des Personals.

Notwendige Reformen für die Gastronomie

„Achtundzwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR ist die Methodik in der russischen Gastronomie gleich geblieben“, sagt er und verweist auf den fortschreitenden Kenntnisstand im Ausland. Seiner Meinung nach brauche es in der Gastronomie kreative Fachleute und Spezialisten, denn das Bildungsniveau genüge bisher in den kulinarischen Einrichtungen des Landes oft nicht den relativ hohen Ansprüchen eines ausgesprochenen Gastrotourismus.

„Es wird viel über die Entwicklung des Tourismus in Russland und insbesondere über die Gastronomie gesprochen“ fährt Beljajew fort, aber es werde für ihn nicht viel unternommen. „In welchem Land auch immer Sie sich befinden, Sie möchten das eine oder andere Nationalgericht probieren und da ist die Komponente der Vielseitigkeit der russischen Küche doch großartig“, schwärmt der Kulinarexperte von den Geschmäckern seiner Heimat.

Foto: © Michael Barth

Auch wenn die russische Cuisine, rein basistechnisch betrachtet, ein geschmackliches Crossover durch sämtliche Küchen eines Vielvölkerstaates darstellt, haben sich letztendlich aus regionaltypischen Feinheiten gesamtrussische Gerichte herausgeköchelt. Anders ausgedrückt wird zwar in jeder russische Familie die Soljanka oder der Plow unterschiedlich zubereitet, das Endprodukt jedoch bleibt generell das gleiche. Somit bleibt es für den Laien schwer, von einer „typisch russischen“ Küche zu sprechen.

Kulinarische Vielfalt der Regionen

Und genau da will der Verband für den kulinarisch-gastronomischen Tourismus in Russland ansetzen. Das erklärtes Ziel der Initiative ist es, das Interesse ausländischer Reisende an den Regionen des Landes zu fördern. Ein Beispiel ist die Umsetzung des Pilotprogramms „Der Geschmack Astrachans“, das von den regionalen Behörden, Reiseveranstaltern der Region und den teilnehmenden örtlichen Betrieben unterstützt und durchgeführt wurde.

„Leider ist unsere Esskultur für Ausländer nicht klar definierbar und vertraut. Daher ist die Förderung des gastronomischen Tourismus einer der Bereiche, die in unserem Land aktiv entwickelt werden sollten. Wir haben vor, Gastronomen und Ernährungsspezialisten für die regionalen Küchen zu gewinnen.“ Die Professorin Jelena Mjasnikowa von der Plechanow-Wirtschaftsuniversität weiß um das Problem der einheitlichen Vermarktung.

Foto: © Michael Barth

„Die gesamte russische Küche unter ein allgemeines Konzept zu bringen, ist sehr schwierig, da wir eine riesige Bevölkerung und verschiedene ethnische Gruppen mit einem eigenen Nahrungsmittelsystem haben“, sagt die Leiterin der Abteilung Restaurantwirtschaft. „Ziel ist es, eine gastronomische Karte zu erstellen, welche Spezialitäten, Produkte und Getränke die Regionen bieten. Was davon kann nur hier und nirgendwo anders probiert werden?“

Foodtrucks und Molekularküche statt Pelmeni

Es könne nicht sein, dass die Russen mehr über die traditionelle ausländische Küche wüssten, als über die eigene, klagt sie und könne sich deshalb gut vorstellen, dass am Institut auch einmal Historiker über nationale Gerichte referieren. Gleichzeitig weiß Mjasnikowa aber auch, dass man ohne die Unterstützung des Staates nicht zurechtkommen werde: „Es ist notwendig, alle föderalen und regionalen Strukturen einzubeziehen, die an der Entwicklung des Tourismus beteiligt sind“.

Auf dem Terrain des Inlandstourismus hat das kulinarische Konzept bereits seit längerem seinen festen Platz gefunden und erfreut sich regen Zuspruchs. Die Kaliningrader Fischtage, Erlebniskulinarik bei den indigenen Völkern im hohen Norden Sibiriens oder seit neuestem Weinfestivals auf der Krim finden regen Anklang. Schon jetzt geht der Trend jedoch weg von der reinen Verköstigung, wie überall wird die Gastronomie in Events und Wettbewerbe eingebunden.

Foto: © Michael Barth

Ob man jedoch, wie dieser Tage in Moskau, mit über zweihundert gastronomischen Demonstrationen rund um Faschingspfannkuchen Heerscharen von ausländischen Touristen ins Land locken kann, sei dahingestellt. Ein Foodtruck-Festival gleicht dem anderen, egal in welcher Ecke der Welt, und Kontraste von Seeigelkaviar-Sushi, Kartoffeln und Mandarinen sind, nun ja, zwar interessant, aber eben nicht gerade typisch russisch.

Es mag noch ein langer, schwerer Weg werden, bis ein klares Konzept gefunden wird, wie sich Ausländer über die Gastronomie nach Russland bringen lassen. Bis es soweit ist, empfehlen wir, während einer Russlandreise die gewohnten Italiener und Koreaner links liegen zu lassen und stattdessen eines der unzähligen Cafés und Restaurants zu besuchen, die landestypische Küche aus allen Teilen des Vielvölkerstaates kredenzen.

[mb/russland.REISEN]

.