Eine Reise (fast) ans Ende der Welt

Eine Reise (fast) ans Ende der Welt

Alles was nördlicher als St. Petersburg sowie abseits der touristisch ausgeschlachteten Inseln Walaam und Kischi angesiedelt ist, gilt gemeinhin als Terra incognita unter Russland-Besuchern. Wo Tourismus aufhört und Reisen anfängt, schildern zwei Schwaben, die einfach mal dahin fuhren, wo das Ende der Welt zu liegen scheint – Nordwärts.

Wälder und Seen; Kiefern und Flechten; Wölfe und Bären – man muss nicht einmal allzu weit von der einstigen Zarenstadt St. Petersburg nach Norden fahren, um ein Russland zu erleben, in dem Mythen und Sagen ihren Ursprung haben. Touristisch auf das Notwendigste reduziert, zeigt sich Nordwestrussland dort von seiner ehrlichsten Seite. Russland polarisiere wie kein anderes Land, das sie bisher bereist haben, sagen die beiden. Vieles laufe in Russland anders und sei harte Arbeit, das haben sie erfahren. Und eines haben sie schnell gemerkt: Russland schenkt dir nichts! Aber was es dir gibt, kann dir niemals jemand wieder nehmen.

Ausgerüstet mit minimalen rudimentären Sprachkenntnissen, einem Auto und einer gehörigen Portion Enthusiasmus fuhren Ruth und Jürgen Haberhauer über die baltischen Länder nach Finnland, um dort, fernab der Zivilisation, in eine Welt der Seen und Wälder einzutauchen. Hier beginnt Karelien. Ein Landstrich, der sich zwischen dem 60. Breitengrad und dem Polarkreis wie ein Gürtel über Finnland und Russland spannt. Die Gesamtfläche nimmt auf russischer Seite rund 200.000 Quadratkilometer ein, auf denen etwa 700.000 Einwohner leben. Die Hälfte Kareliens machen Waldgebiete aus, ein Viertel besteht aus Wasser in über 65.000 Seen.

Unterhaltsames und Wissenswertes

Über ihre Reise haben sie ein Buch geschrieben. Der Titel ist das Motto – Nordwärts. Unaufgeregt und Nachvollziehbar berichten sie von ihrer ersten Begegnung mit einem Land, dass irgendwie vertraut und doch so anders wirkt, wie man es erwartet. Wer bereits mit dem eigenen Fahrzeug in Russland war, mag schmunzeln, wenn die beiden von ihren Gefühlsmomenten zwischen Neugier und Aufregung schreiben. In Sortwala, der ersten russischen Stadt ihrer Reise, haben auch sie die erste Lektion schnell gelernt: Lass dich nicht vom ersten Eindruck täuschen!

Das Eintauchen in das russische Kuriositätenkabinett des Alltäglichen hat ihnen gefallen, das spürt man. Ihr Buch ist daher eine gelungene Mischung aus Reisetagebuch und Reiseführer. Da die beiden Autoren trotz aller Individualität, Touristenspots nicht einfach links liegen haben lassen, sondern die kleinen Abstecher, wie jeder anders Reisende ebenfalls „mitgenommen“ haben, findet sich allerlei Wissenswertes. Zu Stellen, wo man Fahr- und Eintrittskarten kaufen kann, mitunter einfach auch nur, wo es sich lohnt einmal einen Kaffee getrunken zu haben.

Unterwegs in einem einzigartigen Land

Flüssig und daher schön am Stück zu lesen, vermischen sich persönliche Eindrücke und wertvolle Reiseinfos. Unweigerlich fährt man beim Lesen Seite für Seite mit. Die Reise führt zu Ladoga- und Onegasee, zu den saisonal überlaufenen Museumsensembles von Walaam und Kischi, auf die einsamen Solowezki-Inseln und über die Halbinsel Kola bis hoch nach Murmansk. Und dazwischen immer wieder in den Wald, an die Ufer namenloser Bäche und Seen, durch Karelien, Russlands Norden.

Das Buch, das Ruth und Jürgen Haberhauer über ihre Reise veröffentlicht haben, beschönigt Russland nicht bedingungslos, auch wenn die abgeschiedenen Landstriche zum Tagträumen verleiten. Der kritische Blick auf die Hinterlassenschaften der ehemaligen Sowjetunion, mit denen sich die Region immer noch auseinanderzusetzen hat, ist unvermeidlich. Die Halbinsel Kola wird zum Augenöffner, verdeutlicht den Verfall eines ehemaligen Imperiums, dass von vorn herein auf tönernen Füßen errichtet wurde. Gerade diese Einsichten machen Nordwärts zu dem, was es ist: Eine lesenswerte Reiselektüre über ein Russland, dass so nicht im Prospekt der Reiseveranstalter steht.

Über die Autoren: Ruth und Jürgen Haberhauer haben sich beide sehr früh mit dem Virus Fernweh infiziert und sind seit vielen Jahren als eingespieltes Team auf zahlreichen Reisen unterwegs. Ihr Interesse gilt fremden Kulturen, wobei der Respekt vor anderen Lebensvorstellungen immer im Vordergrund steht. Jürgen Haberhauer ist Mitglied im Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter und präsentiert seine Dokumentationen auf diversen Vorträgen. Der Fokus seiner Fotografien liegt auf Landschaften, Tieren und Menschen.

Ruth und Jürgen Haberhauer: Nordwärts – 12.000 Kilometer mit dem Land Rover durch Finnland und Russland, sojombo-Reiseverlag 2017, 348 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN: 978-3000585869

[mb/russland.REISEN]