Die Ukraine – Unbekanntes Land im Osten Europas

Die Ukraine – Unbekanntes Land im Osten Europas

Was für ein Land ist diese Ukraine, von der derzeit fast täglich in den Nachrichten die Rede ist, überhaupt? Wer sind die Ukrainer, die dort leben und was ist das Eigene dieser Nation, die nur allzu oft mit Russland in einen Topf geworfen wird? Antonia Kostretska begab sich auf Spurensuche – von den Wurzeln bis in die Gegenwart.

Vermutlich würden auch heute noch viele sagen, die Ukraine sei ein Teil von Russland, hätte sich das Land nicht durch die Vorfälle beim Euro-Maidan im Jahr 2012 in die Wahrnehmung der Welt gerückt. Plötzlich war auch dem Letzten deutlich geworden, dass es an der Ostgrenze der Europäischen Union einen Staat gibt, der um seine Eigenständigkeit bemüht ist und nicht ständig als südwestliches Anhängsel des mächtigen Russland betrachtet werden will. Sowohl politisch, als auch kulturell.

Spurensuche im Osten Europas

Die gebürtige Ukrainerin Antonia Kostretska hat sich dieser Identitätsfrage in ihrem im Grin-Verlag erschienenen Buch „Terra incognita. Ukraine, Ukrainer und Ukrainisch“ angenommen, um ein unverfälschtes Bild über ihr Heimatland zu skizzieren. Am Ende entstand ein für heutige Tage wichtiges, Werk, das sicherlich keinen Konflikt, aber möglicherweise so manche Missverständnisse klären kann.

Die Ukraine scheint wie ein fremder Planet, dessen Existenz als gesichert gilt, aber dennoch nur aus der Ferne wahrgenommen wird. Zwar kann auch Kostretskas Buch nicht klären, ob das Land am Ende ein souveränes Anhängsel im europäischen Osten oder eben doch „nur“ Kleinrussland ist, aber es verhilft dem Leser sich ein eigenes, vorurteilsfreies Bild zu schaffen. Darüber hinaus wird es so manchen erstaunen, wie viele ukrainische Einflüsse den Weg hinaus in die Welt gefunden haben.

Bekannt aus Kultur und Gesellschaft

An bedeutenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur aus allen Epochen mangelt es der Ukraine beileibe nicht. So sind beispielsweise die erste elektrische Straßenbahn, der Hubschrauber, der Raketenmotor und der erste Satellit sowie das Postleitzahlensystem, die Vernetzung durch das Internet oder die Gesichtserkennung durch Computer Innovationen, die aus ukrainischen Köpfen stammen. Sogar das Röntgenbild und die Nierentransplantation sind Ukrainern erstmals zuzuschreiben.

Die Schriftsteller Nikolai Gogol, Anna Achmatowa, Andrej Kurkow und Michail Bulgakow sowie die weltbekannten Komponisten und Pianisten Wladimir Horowitz, Sergej Prokofjew und George Gershwin, aber auch der Maler Ilja Repin, Regisseur Sergej Bondartschuk, die Politiker Leonid Breschnjew und Golda Meir, ja sogar der Zauberkünstler David Copperfield haben ukrainische Wurzeln.

Licht und Schatten

Doch zeigt sich auch hier die Selbstverständlichkeit, diese Namen dem großen Nachbarn Russland oder den westlichen Ländern, in denen die ausgewanderten Ukrainer berühmt wurden, zuzuschreiben. Kostretskas Werk präsentiert sich als Versuch, ihre Heimat aus dem Schatten Russlands hervorzuholen, ohne dabei allzu despektierlich gemeinsame Wurzeln zu ignorieren, auch wenn hinter vorgehaltener Hand der Politik Moskaus Weltherrschaftsgedanken unterstellt werden.

Kritisch weist die Autorin aber auch auf die dunklen Kapitel der Ukraine hin, die im Lauf der Geschichte nicht ausgeblieben sind und durchaus einer Erwähnung bedürfen. Antonia Kostretska geht auf die Pogrome des 19. Jahrhunderts an russischen Juden ebenso ein, wie auf den Holocaust der Jahre zwischen 1941 bis 1945. Selbstverständlich fanden auch die Massaker von Wolhynien sowie in Ostgalizien ihre Aufnahme in diese Abhandlung.

Über die Identitätsfrage zur Selbstfindung

Seit Jahrhunderten, als Spielball hin und her geworfen zwischen europäischen und russischen Machteinflüssen und permanent auf seiner Suche nach der eigenen Bestimmung festgefahren, scheint es das ukrainische Los, auf Dauer der kulturell-geographische Puffer zwischen Russland und Polen sein. Das Buch kann daher als ein gut gemeinter Versuch der Autorin gewertet werden, der Ukraine eine eigene Identität zu geben, die sich vom Russischen deutlich abhebt.

Die thematische Gliederung verleiht dem Buch einen lexikalischen Charakter und ist alles in allem hilfreich, komplexe Zusammenhänge des nachbarschaftlichen Zusammenhangs der Ukraine und Russland, aber auch Europas zu begreifen. Denjenigen, die sich mehr mit dem Land am Rand des europäischen Osten befassen und über den Tellerrand der täglichen Berichterstattung der Nachrichten blicken möchten, sei dieses umfassende Werk ans Herz gelegt.

Über die Autorin: Antonia Kostretska, Jahrgang 1950, stammt aus Lwiw im Westen der Ukraine und arbeitete zunächst nach Abschluss zweier Studien als Ingenieurin und Lehrerin in ihrer Heimat, in Russland sowie im Ausland.

1997 zog es sie nach Deutschland, wo sie ein weiteres Studium in Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte absolvierte. 2012 wurde dem von ihr in der Wahlheimat Günzburg gegründeten Internationalen Literaturclub der schwäbische Integrationspreis verliehen. Kostretska veröffentlichte darüber hinaus diverse wissenschaftliche Publikationen sowie eigene Gedichte.

Antonia Kostretska: „Terra incognita. Ukraine, Ukrainer und Ukrainisch“, GRIN Verlag 2018, 400 Seiten, 60 Abbildungen, ISBN: 978-3668601918

[mb/russland.REISEN]