Das Ägyptische Haus in St. Petersburg

Das Ägyptische Haus in St. PetersburgFoto: © Michael Barth

Eines der eher unbekannten Schmuckstücke St. Petersburgs ist zweifelsohne das Ägyptische Haus. Die Meinungen von Esoterikern und Kunsthistorikern klaffen bei dem Thema weit auseinander: Birgt das Gebäude ein Geheimnis oder entspricht es lediglich dem Zeitgeist einer Epoche?

Die Mystiker und deren esoterisches Fußvolk, auf ihrer Suche nach Belegen für das Unerklärliche behaupten, dass die nördliche Hauptstadt Russlands, St. Petersburg, an der Basis jenes Dreiecks liegt, das auf eine bestimmte Weise den Nordpol, die Tiwanaku-Pyramiden in Mexiko und die Große Pyramide von Ägypten vereint.

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Dem kann so sein, muss aber nicht, entgegnen darauf die Historiker und falls doch, wofür soll es gut sein? Tatsächlich jedoch stößt man bei einem Bummel durch die Stadt entlang ihrer Kanäle des öfteren auf architektonischen Zierrat aus dem Land der Pharaonen. Am bekanntesten dürften sicherlich die Sphinxen am Newaufer bei der Akademie der schönen Künste sein.

Ausgelöst durch Napoleons Ägyptenfeldzug begannen sich Universalgelehrte im Europa des jungen neunzehnten Jahrhunderts auf das Land am Nil zu stürzen. Es waren Sprachwissenschaftler, Kunsthistoriker und Museumsdirektoren sowie Professoren und Akademiemitglieder in Personalunion die die Ägyptologie begründeten, deren Motive sich schon bald in Kunst und Architektur wiederfanden.

Vermutlich war es eben dieser Zeitgeist der Larisa Iwanowna Neschinski bewog, sich von ihrem Gemahl, einem St. Petersburger Staatsrat, ein exquisites und nicht minder extravagantes Haus bauen zu lassen. Der Architekt Michail Songajlo schuf in den Jahren 1911 bis 1913 ein beispielloses Potpourri von ägyptischer Symbolik mit einem Eingang, der genauso gut zu einer Grabkammer eines Pharaonen führen könnte.

Architektur am Puls der Zeit

Michael Songajlo, ursprünglich aus Polen stammend, war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ein Unterstützer des, unter den Absolventen der Akademie der Künste sehr beliebten, neoklassizistischen Stils. Ein weiteres seiner St. Petersburger Projekte ist der Witebsker Bahnhof. 1921 emigrierte Songajlo nach Litauen und übernahm dort die Leitung der Architekturabteilung der Universität Kaunas.

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Zwar waren ägyptische Elemente in der Architektur zu jener Zeit nicht außergewöhnlich, wie einige Häuser auf der Petrograder Seite zeigen, die Fülle der Ornamentik an Songajlos Ägyptischem Haus jedoch war und ist sogar für das verwöhnte St. Petersburg einzigartig. Es wird daher, nicht zu unrecht, gerne als eines der exzentrischsten Projekte der nördlichen Hauptstadt bezeichnet.

An den Seiten der Veranda befinden sich riesige Statuen, die Skulpturen des Sonnengottes Ra mit einer Sonnenscheibe auf dem Kopf, um die sich eine heilige Kobra schlängelt. In den Händen hält der Sonnengott „Ankh“, das Symbol des Lebens, oder einfach den „Schlüssel des Nils“. Über dem Eingang des Hauses befindet sich eine geflügelte Sonnenscheibe, direkt darüber das Bild der Himmelsgöttin Hathor.

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Die Gesichter der Göttinnen auf den Kapitellen unterscheiden sich allerdings stark von den ägyptischen Originalen und ähneln eher einzelnen skulpturalen Porträts der phönizischen Kunst. Die Fassade des Gebäudes erinnert indes an den Haupteingang des Tempels der Göttin Hathor im ägyptischen Dendera.

Die kolossalen königlichen Pilaster, die die Türfüllungen zieren, gelten trotz der üblichen Starrheit bei der Modellierung königlicher Gesichter in der ägyptischen Kultur, als die besten Imitationen ägyptischer Skulpturen in St. Petersburg. Zudem ist die Fassade reichhaltig mit Reliefs mit Szenen aus dem Leben der Ägypter sowie Götterbildern, Halbsäulen und Scheiben mit Fabelwesen verziert.

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Nach seiner Fertigstellung galt das viergeschossige Haus in der Zacharjewskaja-Straße Nummer 23 bei den St. Petersburgern als „Hingucker“ schlechthin und wurde eingehend studiert. Wie es der Zeitgeist forderte, vermutete man hinter jedem Teil der Fassade einen Schlüssel zu okkultem altägyptischen Wissen, man suchte beflissen nach versteckten Symbolen der Freimaurerei. Den Dichter Osip Mandelstam inspirierte das Haus zu seinem Werk „Die ägyptische Briefmarke“.

Im Inneren des, für seine Zeit fortschrittlichen, Wohnhauses zog indessen ein Hebe-Automatiklift der Firma „Stigler“ zuverlässig seine Bahnen. Vor dem Ersten Weltkrieg beherbergte das Gebäude die Botschaften von Rumänien und Belgien, später befand sich hier die Redaktion der „Kunst von Leningrad“.

Vergänglicher Glanz im Straßenstaub

Während das Ägyptische Haus den Zweiten Weltkrieg noch unbeschadet überstanden hatte, verkam das Gebäude in den Nachkriegsjahren mehr und mehr. Im Jahr 2007 wurde das Haus schließlich im Rahmen eines Fassaden-Sanierungsprogramm notdürftig restauriert. Erst nachdem ein Investor die Reparaturen übernahm, verkörpert das Haus wieder seinen ursprünglichen luxuriösen Status, auch wenn die rückwärtige Fassade noch immer bröckelt.

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Heute zählt das, durch einen Sicherheitsdienst streng bewachte, Gebäude nicht zuletzt wegen seiner zentralen und dennoch ruhigen Lage wieder zu den elitären Top-Adressen St. Petersburgs. Auf den Etagen befinden sich heute die Büros mehrerer Firmen sowie ein „Zentrum für technische Mittel zur Terrorismusbekämpfung und operative Suchaktivitäten“, nebst dazugehörigem Waffengeschäft.

Und wie es sich für ein anständiges Haus in St. Petersburg gehört, hat natürlich auch das Ägyptische Haus seine Legende. Die besagt: Wer von ewiger Liebe träumt, muss auf jeden Fall seine Liebschaft im Bogen dieses Hauses küssen. Erst dann werde die Vereinigung von Ra abgesegnet und durch seinen Sekretär mit den notwendigen Stempeln besiegelt. Außerdem sei diese Methode weit sicherer als der Pfeil des Amor – was einen Versuch durchaus wert wäre.

[mb/russland.REISEN]