Astrachan: Sanfter Tourismus am heiligen Berg

Astrachan: Sanfter Tourismus am heiligen BergFoto: © Michael Barth

Wie ein Fremdkörper, der vom Himmel fiel, ragt die Kuppe des Bolschoje Bogdo aus der flachen, kargen Steppenlandschaft, unweit der kasachischen Grenze. In der Region Astrachan grübelt man indes über eine Lösung, wie ein buddhistisches Heiligtum, ein komplexes Ökosystem und ein Touristenmagnet am schonendsten zusammen vermarktet werden können.

Das Bogdinsko-Baskuntscharskj-Reservat im Norden der Region Astrachan ist zweifelsohne eine touristische Attraktion in der ansonsten weitgehend eintönigen Steppe, die sich vom östlichen Rand des Kaukasus bis fast ins chinesische Tien Schan-Gebirge erstreckt. Das knapp 185 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet, 1997 aus mehreren kleinen Reservaten zusammengefasst, gilt als eines der jüngsten Russlands.

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„Sieh dich doch um“, sinniert der Mann auf der Bank, die im Halbschatten vor einer kleinen Holzhütte steht und macht eine ausladende Handbewegung. Das wettergegerbte Gesicht lässt sein Alter nur schwer erahnen. Sicher ist nur, dass er im Lauf der Jahre hier schon einige Touristen kommen und gehen gesehen hat, die den holprigen Weg über die Sandpiste zum riesigen Baskunchak-See auf sich genommen haben.

Salziges Juwel der Steppe

Der Blick schweift über eine Jurte, die als spartanisches Cafè dient, marode Duschkabinen und eine handvoll Jeeps, die vor den wenigen Souvenirständen warten, um die gehfaulen unter ihnen über die dicke salzige Kruste zu den kleinen Wassertümpeln zu fahren, in denen man noch baden kann. Der hohe Salzgehalt des Wassers hätte in etwa die gleiche hohe Konzentration, wie das Tote Meer, heißt es. „Was hier fehlt“, sagt er, „ist eine vernünftige Infrastruktur“.

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Im Grunde hat der Mann recht: „Dann kämen mehr Touristen und vor allem auch solche, die hier länger bleiben. Das brächte zusätzliches Geld in die Region.“ Geld, das bitter nötig wäre, wenn man sich die umliegenden Ortschaften genauer ansieht. Sie partizipieren lediglich vom industriellen Salzabbau, der achtzig Prozent der Salzgewinnung Russlands ausmacht. Jedoch, wie viel Fremdenverkehr verträgt eine so sensible Region wie diese.

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Nur wenige Kilometer entfernt erhebt sich der Bolschoje Bogdo, eine felsige Kuppe aus rotem Sandstein. Das Gelände ist weitläufig umgrenzt und bewacht wie eine militärische Sperrzone. Und das nicht etwa wegen der geringen Distanz zur kasachischen Grenze, die sich schnurgerade durch die schier endlose Steppe zieht. Es bedarf ohnehin einer expliziten Sondergenehmigung, in den Grenzstreifen einzudringen.

Warten auf den Dalai Lama

Der Legende zufolge haben einst zwei kalmückische Pilger den Fels aus dem Tien Schan-Gebirge bis hierher gebracht. Seitdem gilt er den Buddhisten als heilig und wartet darauf vom Dalai Lama geweiht zu werden. Irdisch betrachtet ist der Große Bogdo ein zerklüfteter Karstberg, der bis auf knapp 150 Meter über dem Meeresspiegel und 171 Meter über der Senke des Baskunchak-Sees in die Höhe ragt.

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Die Besucher, die den vorgezeichneten Weg auf keinen Fall verlassen dürfen, werden von Rangern penibel beobachtet, die Namen notiert und jedwede Auffälligkeit wird sogleich fotografisch dokumentiert. Diese strikte Regelung diene in erster Linie dem Schutz des Areals, erklärt man am Kontrollposten, den man passiert, bevor man mit dem Fahrzeug den kleinen Parkplatz erreicht. Immerhin muss man sich keiner Gruppe anschließen.

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Rund zweihundert Millionen Jahre hat der Berg laut Geologen bereits auf dem Buckel und er wächst immer noch – 0,4 bis 0,5 Millimeter kämen jedes Jahr hinzu, haben sie ausgerechnet. Auf und um ihn herum kommen dagegen die Biologen ins Schwärmen – das Bogdinsko-Baskuntscharskj-Reservat wurde zu einem natürlichen Habitat für eine Vielzahl von Pflanzen- und Tierarten, die in anderen Teilen der Erde selten geworden sind.

Die (Halb-)Wüste lebt

Das Reservat stellt den Lebensraum für 47 Säugetierarten, darunter die Saiga-Antilope, deren ursprünglicher Bestand vor den Schutzmaßnahmen durch Wilderei bereits deutlich dezimiert wurde. Unter den 215 Vogelarten finden sich seltene Gattungen wie Steppen-, Stein- und Seeadler, Pelikane und Kraniche. Hinzu kommen rund zweitausend Arten wirbelloser Tiere sowie ein gutes Dutzend Reptilien, die man russlandweit nur in dieser Steppe vorfindet.

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In Astrachan ist man sich seiner großen Bürde bewusst, deshalb haben die Verantwortlichen die Frage zur weiteren Entwicklung des Tourismus an oberster Stelle ihrer Agenda gesetzt. Zusammen mit Reiseveranstaltern und Naturschutzorganisationen versucht man entsprechende Konzepte zu entwickeln. Zudem ist ein erweiterter Ausstellungskomplex auf dem Gelände des Reservats vorgesehen, der in Kürze fertiggestellt werden soll.

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Jährlich besuchen während der Saison, die von April bis Oktober andauert, rund 15.000 Touristen das Reservat, gab Andrej Kurapow, der stellvertretenden Direktor für Wissenschaft und Ausstellungen des Museums-Ressorts Astrachan, vor kurzem bekannt. Diejenigen unter ihnen, die aus dem Ausland kommen, könne man bisher an einer Hand abzählen, resümiert er.

Eine zielgerichtete Infrastruktur käme laut Kurapow schließlich auch der Region zugute – aber das wusste bereits der Mann mit dem gegerbten Gesicht, auf seiner Bank vor der maroden Hütte.

[mb/russland.REISEN]