Astrachan bringt sich ins Gespräch

Astrachan bringt sich ins Gespräch

Tourismus in Astrachan war bislang lediglich als Ziel von Flusskreuzfahrten auf der Wolga im Gespräch. Diverse Touristikprogramme sollen der historischen Stadt im Süden Russlands nun dabei helfen, den Dornröschenschlaf zu beenden.

Beim Amt für regionalen Tourismus laufen die Köpfe heiß: Es gilt, ausländische Besucher anzuwerben und die aus dem Inland davon abzuhalten, ihre Ferien in der Türkei oder sonst wo zu verbringen. Astrachan habe, so das Credo, genügend Sehenswürdigkeiten und Attraktionen, um ein wesentlicher Baustein des allrussischen Förderprogramms zu sein, das Land für die internationale Touristikbranche auch abseits der Flusskreuzfahrten interessant zu machen.

Was nun nicht bedeuten soll, dass die Flussschifffahrt damit hier ihren Höhepunkt erreicht hätte – ganz im Gegenteil. „Die Region Astrachan ist aufgrund ihrer geographischen Lage dazu bestimmt, das Zentrum des Kreuzfahrttourismus zu sein“, sagte erst vor kurzem der stellvertretende Gouverneur der Region Astrachan, Sergej Morosow, bei einem interregionalen Forum zur Entwicklung des Kreuzfahrttourismus an Wolga und Kaspischem Meer.

Veraltete Seelenverkäufer und Billiganbieter

Dazu müsse allerdings, und das ist der Haken daran, erst die gesamte Flotte wieder auf Vordermann gebracht und grundlegend modernisiert werden. So gelte es beispielsweise die wirtschaftlich havarierte Werft Krasnyje Barrikady wieder flott zu machen. In der Zwischenzeit bestimmen dubiose Anbieter mit Billigschiffen den Markt, wohingegen seriöse Veranstalter erst wieder zurück ins Boot geholt werden müssen.

„Die Entwicklung des Tourismus ist bis 2035 einer der wichtigsten Bereiche der Entwicklungsstrategie der Region Astrachan“, betonte Morosow „Damit unser großer russischer Fluss weiterhin schiffbar ist und mit voller Kraft arbeitet, müssen die Schiffbauindustrie entwickelt und ein föderales Programm zur Umweltsanierung der Wolga umgesetzt werden“, spielte er deshalb den Ball gleich weiter an den russischen Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin.

„Die Kreuzfahrtindustrie ist in eine negative Spirale geraten“, weiß er um das Problem und resümiert: „Die Flotte ist überaltet, viele Schiffe sind über vierzig Jahre alt.“ Gleichzeitig stiegen jedoch die Anforderungen der in- und ausländischen Touristen, der globale Wettbewerb nehme zu und die Dienstleistungsqualität sinke aufgrund der alternden Flotte. Das Thema einer Aktualisierung der Kreuzfahrtflotte sei laut dem Minister deshalb derzeit äußerst relevant.

Wie bewegt man Gäste zu bleiben

Jedoch fliegen die meisten Gäste, die aus dem Ausland ohnehin, nach Beendigung ihrer Wolgafahrt üblicherweise gleich wieder nach Moskau oder in ihre Heimatstädte zurück. Seit geraumer Zeit steht deshalb die Frage im Raum, womit man diese Besucher dazu bewegen könnte, ihren Aufenthalt in Astrachan zu verlängern, beziehungsweise extra deswegen hierher zu kommen. Eine ab 1. April direkte Flugverbindung mit Kasan soll Touristen aus einer weiteren Millionenstadt Russlands dreimal die Woche hierher bringen.

Ein Teil der Altstadt mit ihrer charakteristischen Holzarchitektur ist baufällig und wartet auf die Renovierung. Es fehlt an einer flächigen Müllentsorgung und einer Kanalisation. Andererseits hatte die Stadt das große Glück, von der Zerstörungswut des Zweiten Weltkriegs verschont zu bleiben und die historische Bebauung, als Kapital für die Nachwelt, nicht zerstört wurde. Das heutige Astrachan ist eine Art Schnittpunkt aller Stile und Trends in der Architektur seit der russischen Inbesitznahme des Khanats im 16. Jahrhundert bis in Stalins Zeiten.

Den Tourismus in luftige Höhen bringen

Momentan arbeitet man an der Umsetzung einer geplanten Seilbahn über die Wolga, die die beiden Seiten Astrachans miteinander verbinden soll. Das sei für die Anwohner und Touristen gleichermaßen von Vorteil, heißt es bei den Stadtbehörden, denn die Landschaft werde schließlich gleich mitgestaltet. Genau wisse man bisher jedoch nur, dass dafür das Riesenrad weichen muss.

„Drei Kilometer über die Wolga schweben“, verspricht der Pressedienst der Stadt. Aus dem Grund erwartet man, dass die Luftbrücke auch zu einem neuen touristischen Ort wird, der sowohl Einwohner von Astrachan als auch Gäste des regionalen Zentrums anzieht. Auf der Insel, auf der eine Station gebaut werden soll, ist ohnehin schon seit langem ein Park angedacht. Da nun alles ein privater Investor auf eigene Kosten zahlt, kann man diesen Gedanken wieder aufgreifen.

Bei den zuletzt fast 2,5 Millionen Touristen sind auch diejenigen mitgezählt, die unter die Rubrik „Gesundheitstourismus“ fallen und daher regelmäßig nach Astrachan kommen. So ist man deshalb hauptsächlich bestrebt, Anreize für das aktive Publikum in der Region zu schaffen. Nach wie vor gehört eine Bootsfahrt ins weitverzweigte Wolgadelta sowie Ausflüge in die legendäre Steppe vor den Toren der Stadt, auch mehrtägig mit Übernachtung in der obligatorischen Jurte, schon lange zum Repertoire der örtlichen Tourenveranstalter.

Die Kunst des Umgangs mit historischem Erbe

Seit nun schon bald zwei Jahren diskutiert man zudem gemeinsam mit Krasnodar und Sewastopol auf der Krim sowie Rostow am Don und Wolgograd über ein Projekt „Die große Seidenstraße “. Die zuständige Kulturministerin Olga Jarilowa vertritt die Meinung, dass jede der Regionen ein großes Werbepotenzial hat, um die touristische Marke einem breiten Spektrum potentieller Touristen zur Verfügung zu stellen, um das einzigartige kulturelle und historische Erbe zu fördern, das russische und ausländische Gäste suchten.

Des weiteren soll im Rahmen des nationalen Kulturprojekts ein Kinderlager der russischen militärhistorischen Gesellschaft entstehen, das von der Agentur zur Entwicklung des Inlandstourismus organisiert wird. „Für das Camp wurden das Spielmodell und die Struktur des Bildungsprogramms genehmigt. In Zusammenarbeit mit Partnern werden die Blöcke dieses Programms und deren Inhalte unter Berücksichtigung der militärhistorischen Besonderheiten der Region festgelegt“, so der Direktor der Agentur, Witalj Martynjuk.

Wohl wissend, dass man mit dieser zweifelhaften Form geschichtlichen „Kulturguts“ nur Gäste aus Russland anziehen kann, versucht man die Ausländer mit den Sehenswürdigkeiten des Stadtzentrums zu locken. Es werden bereits explizite Kremlführungen angeboten, Tafeln an Gebäuden geben Zeugnis über das Astrachan des 18. und 19. Jahrhunderts, als hier noch eine bedeutsame Handelsmetropole blühte.

Leitfaden und Inspirationshilfe als Aufforderung

Die Popularisierung der Region Astrachan über ihre Grenzen hinaus ist auch das Ziel des neu erschienenen regionalen Geschichtskalenders mit wichtigen und einprägsamen Daten für 2019, der sich eigenen Angaben zufolge in erster Linie an Angestellte von Museen, Bildungseinrichtungen und Medienvertreter sowie einen breiten Kreis von Lesern, die sich für die Geschichte der Region Astrachan interessieren.

Die Publikation enthält historische Ereignisse zum Jubiläum sowie Geburtstage von Menschen, die in Astrachan ihre Spuren hinterlassen haben und soll dazu animieren, themenbezogene Veranstaltungen durchzuführen. Derzeit präsentiert zum Beispiel das Historische Museum seinen Besuchern die Sonderausstellung „Zeitgenössische Kunst in Kalmückien“ und eine Ausstellung antiker Uhren im Kreml zeugt von der Blüte der Uhrenindustrie in Russland.

Bis 2035 ist das Projekt Tourismusentwicklung angesetzt, dann soll Astrachan vor Touristen nur noch so überquellen. Eine lange Zeit, in der noch viele weitere, kleinere Projekte reifen könnten. Aber für’s Erste gibt es ja dann schon einmal eine Seilbahn.

{mb/russland.REISEN]