Vierzig Tage lang bereiste die Literaturpreisträgerin Constanze John Georgien, das sagenumwobene Land inmitten des Kaukasus. Über ihre Eindrücke und Erlebnisse während der Reise hat sie ein gleichermaßen kurzweiliges wie beeindruckendes Buch verfasst.
Mit der Erklärung eines wichtigen Begriffs der georgischen Sprache beginnt eine Reise in ein Land, um das sich seit alters her faszinierende Geschichten ranken. Zutisopeli – der Augenblick, eine aus der persischen Sprache entlehnten Metapher für eine Lebenseinstellung, die den Georgiern in die Wiege gelegt wurde. Ein weiteres wichtiges Wort ist Supra – das Tafeln und Feiern. Beides zusammen spiegelt das Gemüt eines Volkes wieder, das gelernt hat mit Widersprüchen ebenso umzugehen, wie mit der Koexistenz der verschiedensten Kulturen auf engstem Raum.
Brücke zwischen Europa und Orient
Als griffiges Beispiel schildert Constanze John, ebenfalls gleich zu Beginn, ihren Besuch einer Wohnung in der Haupstadt Tblisi, bei dem sie sich wundert, warum sämtliche Bilder schief aufgehängt sind. Schließlich merkt die Autorin, dass diese sehr wohl akkurat angebracht sind, es ist das gesamte Haus, dass sich in einer Schräglage befindet. Die Bewohner des Hauses haben sich damit abgefunden, durch derlei Kleinigkeiten lassen sie sich keineswegs aus ihrer Ruhe bringen.
„Als Gott die Erde unter den Völkern aufteilte, feierten die Georgier einmal gerade wieder und verpassten dadurch die Verteilung“, so weiß es eine alte Legende der Bewohner, die sich als Abkömmlinge des biblischen Schiffsbauers Noah sehen. „Gott jedoch ist schließlich dem Charme der Georgier erlegen und schenkte ihnen das Stück Land, das er für sich selbst auserkoren hatte.“ Vielleicht liegt darin das Selbstverständnis begründet, wie leicht es den Georgiern zu fallen scheint, Ungesetzmäßigkeiten gelassen ins Auge zu sehen.
Die fortlaufenden Exkursionen in die Tiefen der georgischen Seele dienen dem Zweck, die Schönheiten des Landes als solches überhaupt erst zu begreifen. Was wäre ein Land ohne seine Bewohner, was wären diese ohne ihr Land. Kapitel für Kapitel dringt Constanze John weiter vor, beobachtet und skizziert so das Land, seine Merk- und Liebenswürdigkeiten mit den Stilmitteln eines Reisetagebuchs.
Kapitelweise eintauchen in die Fremde
Durch Begegnungen mit Treffen mit Kulturschaffenden, Freidenkern, Historikern, Beflissenen und Müßiggängern sowie Deutschen, die seit längerem Georgien zu ihrer Wahlheimat gemacht haben, gelingt es der Autorin in die Tiefen des Landes einzutauchen, ohne dabei ihre Beobachterrolle zu verlassen. So versucht sie beispielsweise zu ergründen, warum einem Josef Stalin in Gori Kultstatus zuteil wird, obwohl er den Bewohnern selbst nicht ganz geheuer ist und teilt die berechtigte Frage, ob es nicht das selbe wäre, würde bei uns dieser Kult um den damaligen Naziführer gemacht.
Fast so als wäre er selbst auf dieser Reise dabei, stattet der Leser auf rund vierhundert Seiten Plattenbauten kurzweilige Besuche ab und bestaunt ehrfürchtig jahrhundertealte Wehr- und Sakralbauten auf zahlreichen schwarz-weiß-Abbildungen, die Zeugnis von der bewegten Geschichte der Kaukasusrepublik geben. Und wie es Constanze John schon einleitend erklärt, an einer Supra kommt ohnehin niemand vorbei. Denn: Zwar steht das Haus schief, aber die Bilder hängen doch immer gerade.
Über die Autorin: Constanze John, Jahrgang 1959, lebt, sofern sie nicht gerade unterwegs auf einer ihrer vielzähligen Reisen ist, in Leipzig. Inzwischen hat sie sich einen Namen als freiberufliche Autorin literarischer Reisereportagen gemacht und wurde dafür bereits mehrfach mit Stipendien sowie dem Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis ausgezeichnet. Ein weiteres Buch über den Kaukasus aus ihrer Feder trägt den Titel „ 40 Tage Armenien. In einem alten Land im Kaukasus“, welches 2015 ebenfalls im DuMont Reiseverlag veröffentlicht wurde.
Constanze John: „40 Tage Georgien. Unterwegs von Tiflis bis ans Schwarze Meer“, DuMont Reiseverlag 2018, 411 Seiten, zahlreiche Abbildungen und Kartenskizzen, ISBN: 978-3770182930
[mb/russland.REISEN]
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